Mariana
anders, er war wundervoll, jemand wie ihn hatte sie noch nie kennengelernt. Sie schloß die Augen, und noch im Einschlafen dachte sie daran, was er ihr im Bois gesagt hatte, als keine anderen Geräusche zu hören waren als das Ticken der Uhr im Auto und das dumpfe Rauschen der Bäume im Park. Morgen — heute — war Sonntag, und er wollte mit ihr aufs Land fahren. Sie mußte schlafen. Sie mußte schön sein für ihn.
Marys Interesse an der École Flambert flaute merklich ab. Sie ging zwar noch jeden Tag hin, aber mehr um die Zeit auszufüllen, bis sie sich wieder mit Pierre, der in der Bank arbeitete, treffen konnte. Gewöhnlich holte er sie ab, und sie war stolz auf das Aufsehen, das er bei den anderen Mädchen erregte. Sie verbrachte eine herrliche Zeit mit ihm. Er führte sie überallhin und zeigte ihr ein Paris, das sie ohne ihn nie entdeckt haben würde. Sie gingen in die verschiedenartigsten Nachtlokale, in exklusive, in turbulente oder in ausgesprochen unanständige, in elegante Restaurants, wo Pierre für sie ein Essen bestellte, von dem sie nicht einmal im Traum geahnt hatte, daß es so was gab, und in winzige, intime Lokale hoch oben auf dem Montmartre, wo der Besitzer sie wie seine eigenen Kinder behandelte. Am Tag fuhren sie durch den Bois und tranken Porto Blanc, und abends tanzten sie unter den Bäumen auf zauberhaft beleuchteten Caféterrassen. Sie gingen zum Rennen nach Auteuil, zur Premiere eines Sacha-Guitry-Stücks und in den Lunapark, wo Pierre sie bei der Fahrt auf der Achterbahn mitten auf den Mund küßte. Er nahm sie mit nach Melun, wo sein Bruder seinen Militärdienst ableistete. Sie aßen dort in einem Gasthaus, tranken Rotwein und sangen gemeinsam mit einem Haufen lärmender, unrasierter Soldaten.
Er nahm sie auch mit zu sich nach Hause, wo sie seine Eltern kennenlernte. Manchmal mußte sie zu Abendgesellschaften dorthin gehen, und dann war sie so eingeschüchtert, daß sie nicht ein einziges Wort auf Französisch herausbrachte. Auf dem Heimweg lachte Pierre sie aus und nannte sie sein Baby.
Die Matthieus waren wirklich sehr reich. Madame Robeaus Augen funkelten, sobald nur von ihnen die Rede war, und Mary war in ihrem Ansehen sehr gestiegen. Die Matthieus wohnten, wie Madame Robeau es ausdrückte, im feudalsten Viertel, in einem palaisartigen Haus mit schmiedeeisernen Gittern und einem Innenhof mit Springbrunnen. Pierres Mutter war eigentlich nur ein kalter, nüchterner, mit Brillanten behängter Kleiderständer. Schwarzhaarig, mit einer scharfen Nase, erinnerte sie an einen Raben, der auf seinen gestohlenen Juwelen hockte. Mary zog M. Matthieu bei weitem vor. Er war ein netter kleiner Mann, sah genau wie Pierre immer adrett und gepflegt aus, und die Kragen und Manschetten seiner Hemden strahlten vor Sauberkeit. Sein Gesicht sah aus, als ob er sich entweder dreimal am Tag rasiere, oder als ob er das überhaupt nicht nötig habe.
Außerhalb von Paris besaßen sie noch ein Landhaus, eine Jagdhütte, wie Pierre sagte, was Mary sehr hoffnungsfroh stimmte, bis sie entdeckte, daß Jagen für ihn gleichbedeutend mit Schießen war. Er fuhr am Sonntag mit Mary hinaus, und sie blieben den ganzen Tag dort. Ihr zusammengestoppeltes Mittagessen aßen sie in der Küche gleich aus der Pfanne. Nach dem Mittagessen wollte Mary gern Spazierengehen; es gab dort Hügel, kleine Wälder und einladende, uneingezäunte Felder. Aber Pierre schob die Unterlippe vor und überredete sie, im Haus zu bleiben. Sie hatten den Kamin im großen Wohnzimmer angemacht, das sehr kostbar ganz im ländlichen Stil eingerichtet war, und hier wollte er den Nachmittag mit ihr verbringen. Sie war zuerst sehr enttäuscht. Wenn Franzosen aufs Land fuhren, schienen sie nicht das Bedürfnis zu haben, sich jede freie Minute an der frischen Luft aufzuhalten. Aber dann tröstete sie sich mit dem Gedanken, daß ein Engländer jetzt wahrscheinlich mit Gewehr, Hund und Pfeife über die Hügel abmarschiert wäre und ihr Vorhandensein vollständig vergessen hätte.
Und hier in diesem Zimmer mit den Hirschgeweihen und Jagdbildern an den Wänden, auf dem Bärenfell, das allerdings nicht von einem Matthieu erbeutet worden war, begann der Kampf zwischen Mary und Pierre. Er entbrannte fast jedes Mal von neuem, wenn sie allein zusammen waren, und Mary war oft nahe dran, nachzugeben, aber ein instinktives Gefühl der Abwehr gewann immer gerade noch rechtzeitig die Oberhand. Pierre probierte es mit allen Mitteln, er
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