Mariana
sie den riesigen Brillantring sahen, den Pierre Mary geschenkt hatte. M. Flambert leckte sich seine Saurierlippen und Mme. Flambert, den Mund voller Nadeln, murmelte wie eine wohlwollende Kupplerin ihre besten Wünsche.
In schroffem Gegensatz zu all dem stand die Angst, wie Madame Matthieu sie aufnehmen würde. Es war unmöglich zu entscheiden, ob ihre zukünftige Schwiegertochter ihr willkommen war oder nicht. Ihr Gesicht glich einer Maske, und als sie sich leicht nach vorn beugte, um sich der unumgänglichen Umarmung zu unterziehen, fühlte Mary, die ihr entgegenstolperte, die scharfe gerade Nase eiskalt an ihrer Wange. M. Matthieu war da ganz anders. Er war offensichtlich entzückt, benutzte jede Gelegenheit, Mary herzlich zu umarmen, und sprach von nichts anderem als von den Geschenken, die sie von ihm bekämen.
Mary war froh, daß niemand die Frage nach ihrer Mitgift anschnitt. Pierre wußte, daß sie nicht vermögend war, aber von dem augenblicklichen Finanzdilemma ihrer Mutter hatte sie ihm nichts gesagt. Sie hatte die vage Vorstellung, daß er ihr, wenn sie erst seine Frau war, einen bestimmten Betrag überschreiben würde, so daß sie ihrer Mutter helfen konnte, ohne ihn fragen zu müssen. Sie wußte, daß er arme Leute nicht mochte. Wie Krankheit für Gesunde, so war Armut für ihn ein Unglück, aber darüber hinaus auch noch abstoßend. Er war wie ein Mann, der einen Stein aufhob, etwas Unschönes darunter entdeckte, den Stein schnell wieder hinlegte und weiterging.
Marys Monatswechsel war sehr zusammengeschrumpft, und da sie sich von Pierre nichts leihen konnte, mußte sie fürchterlich sparen und knausern, damit sie ihr Geld für entsprechende Kleidung ausgeben konnte. Schließlich mußte sie für ihn gut angezogen sein. Sie entdeckte geradezu lächerlich preiswerte Restaurants — Mittagstische im zweiten Stock hinter der Madeleine oder dunstige Keller am billigen Ende der Boulevards — , wo die schmuddeligen Kellner nur ein kleines Trinkgeld erwarteten, und wo man für einen Franc eine Karaffe Wein bekommen konnte. Außerdem setzte sie, zum Schrecken von Madame Robeau, ihre Tugend aufs Spiel, indem sie dritter Klasse in der Metro fuhr, wo es zugegebenerweise schmutzig, aber durchaus nicht uninteressant war.
Dieses Leben — ohne Pierre — stand in komischem Gegensatz zu ihrem anderen Leben, das sich in Taxis und riesigen Luxusautos abspielte. Da nahm man den Tee im , trank Cocktails im und war zum Dinner im , mit Orchideen und Kaviar. Champagner wurde so beiläufig bestellt wie eine Tasse Tee. Manchmal fragte sie sich, mitten beim Essen in einem der teuersten Lokale von Paris, wo der Maître d’hotel sich mit der Leutseligkeit des Papstes um sie bemühte, was Pierre wohl sagen würde, wenn sie ihm erzählte, daß sie mittags einen Teller Spaghetti für fünfundsiebzig Centimes im gegessen und der verschwitzte Kellner sie gefragt hatte, was sie an ihrem freien Abend mache. Sie fragte sich auch, was er zu ihrem Vorschlag, in England zu leben, sagen würde. Wenn ihr Kursus an der Modeschule beendet war, sollte er sie nach England zurückbegleiten, und dann wollte sie ihn fragen. Jetzt wollte sie den sorglosen, verliebten Sommer in Paris nicht gefährden, indem sie eine mögliche Meinungsverschiedenheit heraufbeschwor. Das Leben war so heiter, so unkompliziert, daß sie alles beiseite schob und nur glücklich war. Sich mit Pierre ernsthaft zu unterhalten, war sehr schwierig. Er lachte sie aus, nannte sie sein Baby, kitzelte sie, schloß sie in die Arme oder trieb irgendeinen Unsinn. Jeder Versuch zu einem ernsten Gespräch ertrank in einem Meer von Gelächter, und dann hatte sie selbst auch keine Lust mehr dazu.
Das Leben mit ihm brachte fortwährend Neues und Schönes. Als sie zusammen nach England zurückfuhren, bestand er darauf zu fliegen. Zum erstenmal erlebte sie diesen herrlichen Augenblick, wenn das Stuckern auf der Rollbahn aufhört, die Räder den Boden verlassen, das Flugzeug sich mühelos abhebt und man sich des Wunders bewußt wird, daß man in der Luft ist, höher und höher steigt, aus eigener Machtvollkommenheit und sicher wie in Abrahams Schoß.
Hinterher lachte Pierre sie aus und erzählte ihr, sie habe die ganze Zeit über mit offenem Mund dagesessen. Sie hatte ihn fast vergessen, während sie aus dem Fenster hinunter auf die bewegungslose Wasserfläche starrte, über der sie stillzustehen schienen, so, als ob sie sich gar nicht
Weitere Kostenlose Bücher