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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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Bonzo auf dem Gang zu ihr und lachte so laut, daß sie einen Mann aufweckte, der zum erstenmal, seit er mit dem Fahrrad unter einen Lastwagen geraten war, richtig schlief.
    Die ersten paar Tage zu Hause war Mary noch ziemlich schwach, dann fuhr sie mit ihrer Mutter in ein Hotel nach Cornwall, wo sie sich zehn Tage in guter Luft erholen sollte.
    «Tut euch beiden gut», sagte der alte Doktor Brett und strich sich mit dem Zeigefinger den gelblichgrauen Schnurrbart, den er nach Art der französischen Generale trug. «Lilian hat sich im Geschäft überarbeitet. Ihr seid ein paar Jammergestalten. Schrecklicher Anblick.» Er zog den Finger zurück, so daß eine Seite seines Schnurrbarts sich sträubte, während die andere fein säuberlich glatt war. Er war ein reizender, alter Mann. Seit Jahren hatte Mrs. Shannon immer wieder versucht, ihn mit ihr geeignet erscheinenden ältlichen Mädchen oder Witwen zu verheiraten, aber alles, was er brauchte, war sein Steingarten.
    Nachdem sie sich endlich einmal von ihrem Geschäft losgerissen und sich damit abgefunden hatte, daß es jetzt lauter Schwachsinnigen wie Sybil ausgeliefert war, fing Mrs. Shannon an, sich auf die Erholung zu freuen.
    «Weißt du», sagte sie zu Mary, als sie sich bei einer Tomatensuppe im Speisewagen des Zuges gegenübersaßen, «ich stelle gerade fest, daß ich schon lange keinen richtigen Urlaub mehr gemacht habe. Selbst wenn wir ins Ausland gefahren sind, war doch ständig irgendwas los, dauernd mußten wir zu irgendeiner Modenschau, um neue Kunden zu gewinnen. Dieses Mal schalte ich vollkommen ab. Ich will vergessen, daß es eine South Molton Street gibt oder eine Telefonnummer Grosvenor 1354. Ich hab nur alte Fetzen mitgenommen und werde mit Nagelschuhen durch die Heide wandern und Volkslieder singen.»
    «Sehr schön», murmelte Mary, die zufällig gesehen hatte, wie doch einige hochelegante Schneiderkostüme im Koffer ihrer Mutter verschwanden.
    «Trotzdem», fuhr Mrs. Shannon fort und lehnte schaudernd den gekochten Fisch mit Eiersauce ab, «bin ich doch ein bißchen beunruhigt wegen Sybil. Sobald wir angekommen sind, muß ich anrufen und fragen, ob alles in Ordnung ist, sonst kann ich die ganze Nacht kein Auge schließen. Nein, das wollte ich ja gerade nicht. Ich hab doch gesagt, ich schalte ab. Du mußt mir helfen, energisch zu sein. Wenn du siehst, daß das Telefon mich magnetisch anzieht, dann gib mir einen Schubs in die entgegengesetzte Richtung und schick mich raus, damit ich das Meer betrachte.»
    Sie schwatzte weiter, und Mary hörte ihr apathisch zu. Die Aussicht auf die Ferien deprimierte sie tief. Seit jenem traumhaften Tag im Krankenhaus hatte sie Sam nicht mehr gesehen. Seine Arbeit hatte ihn am nächsten Tag nach Norden geführt, und bis jetzt war er noch nicht zurück.
    Er hatte ihr geschrieben. Als sie den Brief las, hörte sie seine Stimme, denn er schrieb genauso, wie er sprach. Morgen würde er nach London zurückkommen, und dann war sie nicht da. Es war schlimm, daß sie ihn nicht sehen würde, aber schlimmer war, daß er erwartete, sie dort vorzufinden. In seinem Brief hatte er ihr schon ganz genau mitgeteilt, was sie unternehmen wollten, wenn sie sich wiedersahen.
    Aber es war trotzdem alles in Ordnung. Sie wußte, daß er ihrer ganz sicher war, genau wie sie an ihm und sich selbst nicht den leisesten Zweifel hatte. Sie kannte ihn so gut, obwohl sie sich nur fünf- oder sechsmal gesehen hatten. Und wirklich nah waren sie sich nur beim letztenmal gewesen.
    Sie wußte, er war großzügig, hatte Sinn für Humor und fand alles das komisch, was sie bisher in ihrem Leben komisch gefunden hatte. Sie wußte, wie schnell er eine Situation erfaßte, sie kannte seine Intoleranz, die ihn aber nicht hinderte, aufreizend höflich gerade zu den Leuten zu sein, die er am wenigsten mochte. Sie wußte, welche Arbeitsweise ihm am meisten lag, daß er es haßte, Pläne zu machen, und gewisse Ausdrücke, die es ihm angetan hatten, immer wieder gebrauchte, wie zum Beispiel «Heiliger Strohsack».
    Sie wußte genau, wie er aussah. Er war groß und dunkel, kein schöner Mann, aber er sah aus, wie er aussehen mußte, mit seinen klaren braunen Augen und seinem sympathischen Mund, dessen Winkel sich beim Lachen hochzogen. Ein Gesicht, das Energie verriet, ohne hart zu sein, das klug, aber nicht asketisch war — ein Gesicht, das sie ein Leben lang ansehen konnte.
    Sie rauchte eine Zigarette, starrte aus dem Fenster auf die überfrorenen Gewässer des

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