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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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rotumränderten Augen Sam kichernd hereinführte, verjüngte sich Tante Fanny schlagartig um zehn Jahre — auf auch dann noch zweiundsiebzig.
    Es war zum Verzweifeln. Da saß sie — zwei kleine Knopfäuglein lugten aus einem staubigen Kleiderbündel — , und ihre Gegenwart legte sich auf die Unterhaltung wie Mehltau auf Rosenbüsche. Sam benahm sich wie ein völlig Fremder. Sowohl Mary als auch Tante Fanny gegenüber war er von geradezu aufreizender Höflichkeit. Ganz offensichtlich handelte es sich überhaupt nur um einen Höflichkeitsbesuch. In seiner Erinnerung würde Mary fortleben als das Mädchen mit der ungepuderten Nase und den Bauchschmerzen. Was spielte es also für eine Rolle, daß sie ihr hübschestes Bettjäckchen trug und am Morgen ihr Haar mit Trockenschampoo bearbeitet hatte. Nichts war mehr von der Verbundenheit zu spüren, die aus der verzweiflungsvollen Notlage an jenem nebligen Abend entstanden war. Es war, als sei nichts gewesen, dachte Mary, die todunglücklich in ihrem Bett lag und nicht die geringste Anstrengung machte, die verfahrene Situation zu retten.
    Ein paarmal versuchte Sam, ihr etwas zu erzählen — von Mrs. van de Meyer oder dem Haus — , aber Tante Fannys Stimme fuhr wie eine Kreissäge dazwischen, und er verstummte. Warum nur packte er die alte Dame nicht am Kragen und setzte sie vor die Tür, anstatt dazusitzen und ihre Geschichten über Tumore in der Frauenklinik am Soho Square und die Unfähigkeit der Gärtner auf dem Putney Vale-Friedhof mitanzuhören. Mit ernstem Gesicht saß er auf dem kleinen, harten Stuhl und knetete an seinen Händen herum, die er zwischen den Knien hielt. Seine Hände hatten sich nicht verändert. Sie waren immer noch lang und braun und hatten kräftige Gelenke, genauso wie neulich im Auto.
    Mary hatte ihm noch nicht einmal gedankt für alles, was er an jenem Tag für sie getan hatte. Es war ganz unmöglich im Beisein von Tante Fanny, die sich wie ein Aasgeier auf jedes Thema stürzte. Niemand wußte, daß sie in seiner Wohnung gewesen war, alle dachten, er habe sie zu einem Arzt gefahren, und Mary fand es hinterher nicht der Mühe wert, große Erklärungen abzugeben. Sie hörte ihre Mutter fragen: «Aber wie kamst du denn in sein Bett, mein Liebes? Was wird bloß der Arzt gedacht haben. Warum hast du mich nicht angerufen?» Wer hatte eigentlich den Arzt bezahlt? Das mußte sie ihn unbedingt fragen. Wollte Tante Fanny denn nie gehen? Nein, keine Aussicht. Dieser Besuch bedeutete geradezu ein Fest für sie, und zu Hause erwartete sie nichts als ein pochiertes Ei aufgebackenen Bohnen und das BBC-Programm, was sie dank eines kleinen, altgekauften Radios nur sehr mangelhaft hören konnte. Was Tante Fanny mit ihrem Geld anfing, war allen schleierhaft.
    Als die Schwester mit Marys Abendessen hereinkam, setzte sie beide Besucher zusammen an die Luft. Mary war den Tränen nahe, als Sam gehorsam aufstand, ihr Lebewohl sagte und sie dabei sogar Miß Shannon nannte. Sie wagte nicht, ihn zu bitten, noch mal wiederzukommen, und er seinerseits sagte nichts davon. Ach, es war zum Verzweifeln.

    Die Tage vergingen und bescherten ihr eine Reihe von Besuchern, die sie nicht sehen, Büchern, die sie nicht lesen und Radioprogrammen, die sie nicht hören wollte. Der Arzt hatte gesagt, sie dürfe zeichnen, ihre Mutter brachte ihr ihre Sachen, und Mary begann ein Kleid zu entwerfen, in dem die Tochter von Lady Sachs in der St. George’s Kirche am Hanover Square Abschied von ihrem Jungfrauendasein nehmen sollte. Die Anregung dazu hatte Mary einer Aufführung des Stückes entnommen, und das Kleid entwickelte sich zu einer ihrer besten Schöpfungen. Die Vorstellung, wie Eulalia Sachs mit ihren fetten Armen und ihren strohfarbenen Haaren am Arm eines ältlichen Börsenmaklers darin zum Altar schreiten würde, konnte sie kaum ertragen.
    Sie würde ein alltäglicheres Kleid entwerfen und dies für jemanden aufheben, der besser hineinpaßte. Es müßte von einem schlanken, dunkelhaarigen Mädchen getragen werden —
    Die Tür öffnete sich einen Spalt, und Fergie, die schottische Schwester, steckte den Kopf ins Zimmer. «Besuch. Soll er reinkommen?»
    «O Gott», sagte Mary verdrossen und legte ihren Zeichenblock mit der Skizze nach unten auf die Decke, «wird ja wohl nicht anders gehen.»
    Sam kam schüchtern herein, und bevor er ans Bett trat, suchte sein Blick das Zimmer nach Großtanten ab.
    «Guten Tag», sagte er, «hoffentlich sind Sie mir nicht

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