Mariana
sich umzukleiden, aber Mary blieb sitzen. Eine kinderreiche Familie traf ein. Der Vater — gutgelaunt - trug ein Hemd mit Schillerkragen, die Mutter sah aus wie die Germania persönlich. Sie waren alle quietschvergnügt, hatten Sommersprossen, aber keinerlei Hemmungen. Ihr Gepäck bestand größtenteils aus Reisetaschen und Pappkartons. Mary fragte sich, wovon die wohl das Hotel bezahlten. Wahrscheinlich sind sie von einer reichen Verwandten eingeladen worden, entschied sie gerade, als sie das tiefe Brummen eines Autos hörte, das die Auffahrt heraufkam, und sie war so überzeugt, daß es Sam war, daß sie aufstand und hinausging.
Draußen stand ein großer Zweisitzer, ein paar lange Beine schoben sich hinaus, und sobald Sam sie sah, zog er sie in den Schatten zwischen Scheinwerfern und Türbeleuchtung und küßte sie, als ob er auf dem ganzen Weg von London her an nichts anderes gedacht hätte.
Plötzlich schob er sie ein Stückchen von sich fort und fragte hastig: «Du wirst mich doch heiraten, mein Liebling, nicht wahr?»
«Natürlich.»
«Gott sei Dank», seufzte er erleichtert und gab ihr noch einen Kuß.
Der Portier räusperte sich mit der Lautstärke eines Nebelhorns. «Haben Sie Gepäck, Sir?»
«Ja, hinten im Wagen bitte. Komm, mein Liebes», sagte Sam, «du darfst hier nicht im Regen stehen.» Hand in Hand gingen sie ins Hotel. Den strickenden Damen fielen fast die Augen aus dem Kopf, und die Zartbesaiteten unter ihnen ließen eine Masche fallen.
Während der nächsten drei Tage fiel eine ganze Menge Maschen im Hotel zur St. Justin’s Bucht, denn zwei so offensichtlich verliebte Menschen wie Mary und Sam hatte man dort seit dem Skandal um den Empfangschef und das Stubenmädchen aus dem zweiten Stock nicht mehr erlebt.
Am ersten Abend hatten sie Mrs. Shannon in der Bar gefunden, wo sie einsam und verlassen ihren Kummer über ihre Bridgeverluste in einem trockenen Martini ertränkte. Als sie es ihr erzählten, fiel sie fast vom Barhocker und umarmte Mary so stürmisch, wie sie es seit deren Kinderzeit nicht mehr getan hatte. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und gab Sam einen Kuß. Der lachte etwas verlegen und sagte: «Herzlichsten Dank!»
«Warum hast du mir das nicht schon früher erzählt?» fragte Mrs. Shannon und kletterte auf ihren Barhocker.
«Bitte drei Champagner-Cocktails, Albert, und einen für Sie. Das muß gefeiert werden. Also, Mary, das hättest du mir aber wirklich sagen können. Ich finde das nicht nett von dir.»
Mary sah Sam an. «Bis vor ein paar Minuten war eigentlich noch gar nichts zu erzählen, nicht wahr?»
«Das ging aber schnell.» Mrs. Shannon war offensichtlich ziemlich perplex, aber sie wahrte die Fassung. Immer wieder warf sie einen verstohlenen Blick auf Sam und versuchte, sich ihn als Schwiegersohn vorzustellen.
«Gott segne euch», sagte sie, erhob ihr Glas, und Albert, der um ein Bier gebeten hatte, hob das seine und sagte: «Darf ich mir erlauben, dem glücklichen, jungen Paar meine Glückwünsche auszusprechen.»
Nach dem Abendessen spielte Col Collier mit seinem Trio zum Tanz, und die Stimmung schlug hohe Wellen. Es gab Papierschlangen, Stechpalmen und Luftballons und einen Weihnachtsbaum mit farbigen Lichten, glitzernden Ketten und Glaskugeln, aber keine Geschenke. Matronen in brauner Spitze mit einer künstlichen Rose an der Brust wurden von Jünglingen mit feuchten Händen herumgeschwenkt, und junge Mädchen mit Raffzähnen, in rosa Taft gekleidet, kicherten verschämt in den Armen pensionierter Colonels, die mit steifen Knien tanzten und sich als tolle Draufgänger fühlten. Mrs. Shannon trug ihre Brillantohrringe und sah in dem langen, grünen Seidenkleid, das ihre Figur eng umschloß und eine fischschwanzähnliche Schleppe besaß, wie eine elegante Meerjungfrau aus. Mary trug ein Kleid, das sie selbst entworfen hatte: Zartgrauer Chiffon, das Oberteil war in Falten gelegt, und der weite, duftige Rock wurde in der Taille durch einen breiten leuchtendroten Gürtel zusammengehalten.
Ob sie im Buckingham Palast oder in einem Dorfgasthaus tanzte, das war Mary jetzt ganz egal. Sie schwebte im siebenten Himmel. Es war so aufregend, immer neue Wunder zu entdecken, zum erstenmal miteinander zu tanzen, festzustellen, daß Sam genauso tanzte, wie sie es gern hatte. Sams Arm, der um ihre Taille lag, war das einzige, was sie auf der Erde festhielt. Als die Musik endete, waren ihre Lippen in einem strahlenden Lächeln geöffnet, sie schwankte ein wenig
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