Mariana
Shannon lachte, und Tante Mavis verzog den Mund und sagte: «Pas devant les autres.» Dabei runzelte sie die Stirn und wies erst auf Linneys breiten ahnungslosen Rücken und dann auf Mary.
Mary summte das Lied vor sich hin, das die Kinder auf der Straße zwischen Yarde und Charbury immer sangen. Die Melodie blieb sich stets gleich, und der eintönige Text schilderte, wo man gerade war. «Jetzt kommt die Teerstraße, die Teerstraße, die Teerstraße, jetzt kommt die Teerstraße, dideldum, dideldum, dideldum. Jetzt kommt die Ruine, Ruine, Ruine», oder «jetzt kommt die Ecke, wo der Mademoiselle schlecht wurde...», eine unvergeßliche Erinnerung an den aufregenden Tag, an dem die französische Erzieherin von Denys und Sarah plötzlich gerufen hatte: «Halten Sie das Auto an, anhalten, il faut — il faut», und, das Taschentuch vor den Mund gepreßt, in die Büsche gestürzt war. Das Auto fuhr weiter zwischen den hohen Hecken, die die Straßen umsäumten, und die noch feucht waren vom Regen des Vortages, und weiter ging das Lied — vom Geißblattgebüsch an der Hühnerfarm vorbei bis zur Kreuzung, an der Linney immer das Tempo verlangsamte und zwei gleichmäßig lange Hupsignale gab. «Jetzt kommt der steile Berg, der steile Berg, der steile Berg», und an seinem Fuß war das Bächlein mit dem aufregenden Namen «Rotes Meer», durch das Linney, wenn keine Erwachsenen dabei waren, nicht vorsichtig fuhr, sondern durchbrauste, daß das Wasser bis zur Windschutzscheibe heraufspritzte und die Kinder aufkreischten.
Schließlich war Mary mit ihrem Lied bei: «Jetzt kommt die Allee zum Charbury House» angelangt. Das Auto, in dem ihre Mutter und Tante Mavis drauflos plauderten, als ob gar kein Grund zur Aufregung wäre, bog nach rechts ab, wo eine verwitterte Tafel am Fuß einer kleinen Föhrengruppe verkündete . Linney mußte, obwohl die Steigung nur gering war, einen niedrigeren Gang einschalten, denn der Lancia war schon betagt, und mit leise summendem Motor fuhren sie die Straße zwischen den Brombeerhecken hinauf und vorbei an den Ulmen, die hie und da die Straße spärlich überdachten. Hinter der Hecke rechts konnte Mary die Umrisse der hellen Linden und der dunkleren Eichen und Kastanienbäume sehen, die im Park standen. Oben angekommen, fuhren sie zwischen den grauen Steinpfosten mit den geöffneten Eisentoren hindurch, und da — endlich — da lag das Haus. Es war langgestreckt und niedrig, mit eng zusammenstehenden Schornsteinen und ungleichmäßigen Giebelaufbauten, das helle Grau der Mauern überwucherte dichtes Grün. Die kurze, gerade Auffahrt führte direkt zum Vordereingang, und Mary hatte kaum Zeit, einen Blick auf das Narzissenbeet oberhalb der Raseneinfassung zu werfen, als Linney auch schon den Wagen mit einem Knirschen auf dem Kiesplatz vor dem Eingang zum Halten brachte. Mit einem Satz sprang sie heraus und rannte, rannte immerzu im Kreis auf dem Rasen herum; genau wie ein junger Hund hatte sie das Gefühl, sich austoben zu müssen.
«Mary, der Rasen ist ganz feucht», rief Tante Mavis, und selbst ihre Mutter sagte: «Halt, komm zurück, erst mußt du dich umziehen, bevor du dich austobst.» Mary kam atemlos zurück und folgte ihnen ins Haus, wo sie der anheimelnde, vertraute Charbury-Geruch willkommen hieß.
Die Halle in Charbury war der am meisten benutzte Raum im ganzen Haus. Man erreichte sie durch die kleine enge Diele, in der Hüte, Mäntel und Spazierstöcke hingen und wo die große Eichentruhe stand, in der es nach Kampfer roch, und die vollgestopft war mit Decken, Kissen, Krocket-Schlägern, mit zerbrochenen Raketts und allem möglichen anderen Kram, den der eine oder andere dort abzulegen beliebte. Hinter der schweren Innentür, die durch einen Föhrenholzklotz mit einem Messingring offengehalten wurde, lag die quadratische Halle, und auf der anderen Seite führte eine breite, flache Treppe nach oben. In der Mitte des Raumes, auf einem runden Eichentisch, stand eine große Schale mit Blumen, die Mrs. Wilson, die Haushälterin, mit nicht allzu geschickter Hand jeden Tag neu arrangierte. In dem großen, ausgemauerten Kamin brannte ein kleiner Baumstamm, vor dem Feuer hockten auf dem gepolsterten Kaminvorsetzer ein paar Frauen, deren kurze Röcke einen großen Teil ihrer Beine sehen ließen. Seitlich vom Kamin eine Fensterbank, von der aus man auf die Auffahrt blickte, und überall standen Sessel und Sofas, deren Polsterung genau den richtigen Grad von
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