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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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Bequemlichkeit hatte, nicht zu neu und nicht zu ausgesessen.
    Auf einem dieser Sofas vor dem Feuer lag Marys Großvater in tiefem Schlummer, die Rundung seines Bäuchleins hob und senkte sich, und während er sanft schnarchte, blähte sein Atem die zerfurchten Wangen auf, um sie gleich darauf wieder einfallen zu lassen.
    «Psst, nur nicht plötzlich aufwecken», wisperte Tante Mavis mit so durchdringender Stimme, daß ihr Vater mit einem Ruck hochfuhr und sich aufsetzte, sein Mund stand offen, und der graue Haarkranz, der seine kahle Schädelplatte umgab, sträubte sich. «Was, was ist denn», stammelte er, für einen Augenblick noch ganz verloren in dem Vakuum zwischen Schlafen und Wachsein. «Ach, Lily, meine Liebe», sagte er dann blinzelnd, «du hast mich richtig erschreckt. Ich hatte mir heute mittag ein extra Gläschen Portwein genehmigt, und da hab ich ein kleines Nickerchen gemacht, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.» Er gab seiner Schwiegertochter einen Kuß und erhob sich. Klein und beleibt, aber nicht dick, zeigte seine Figur eine behagliche Rundung, und seine Hosen, die er auf dem Land bevorzugte, und die ein Mittelding zwischen Plusfours und Knickerbockern darstellten, ließen seine Beine noch kürzer erscheinen, als sie in Wirklichkeit waren.
    «Na, und wie geht’s meinem Püppchen?» fragte er, und sein Lächeln vertiefte die Fältchen in seinem Gesicht, während er sich hinunterbeugte, um Mary einen Kuß zu geben. Obwohl er rasiert war, fühlte sie, als sie ihn zärtlich umarmte, an ihrem Kinn das Pieken von ein paar weißgrauen Stoppeln, die sich in den Falten verborgen dem Zugriff seines mörderischen Rasiermessers entzogen hatten. Sie liebte ihn abgöttisch. Er gehörte zu den Menschen, denen man Vertrauen schenken konnte. Er war zuverlässig, freundlich und heiter, und sein Witz war nie sarkastisch. Er roch immer so gut und sauber nach Palmolive-Seife und nach Lavendelwasser, das er in die Kopfhaut einrieb, um den Haarwuchs zu fördern.
    «Lauf hinauf und zieh dich um, Mary», sagte ihre Mutter, «und dann kannst du raus. Violet wird dir deinen Koffer nach oben bringen.»
    Mary hatte immer dasselbe Zimmer; vom obersten Stockwerk aus führte hinter einer Tür eine kleine Stiege hinauf. Dieses Zimmer wurde die genannt, weil es so klein war, daß man die Möbel an den Wänden ringsum hatte einbauen müssen, und unter dem Bett waren Schubkästen angebracht wie in einer Schiffskoje. Das Bett stand direkt unter dem Fenster, und morgens, wenn sie sich aufrichtete, konnte sie das schimmernde Grün der terrassenförmig angeordneten Rasenflächen sehen, die sich neben dem Haus bis zum Park hinunter erstreckten; auf der einen Seite standen gestutzte Taxushecken, auf der anderen begann der Buchenwald. Manchmal, wenn sie in der Nacht wach wurde und die frische, kühle Luft über ihr Gesicht strich, setzte sie sich auf, sah die im Mondschein taghell daliegenden Rasenflächen und hörte vom Tümpel im Wald das Quaken der Frösche.
    Das Zimmer war ganz in Weiß gehalten, auf dem Boden lag ein blauer Teppich, und über dem Frisiertischchen hing das Bild eines Kornfeldes. Die Ähren leuchteten goldgelb und standen ganz dicht. Sie wurden gerade mit Hilfe von zwei Pferden gemäht, eines war braun, das andere weiß wie die Wolken, die über ihm am blauen Himmel dahinzogen.
    Es war schön, wieder hier zu sein und alles wiederzusehen: Das bereits aufgeschlagene Bett mit den gestärkten, frischen Laken und das blitzsaubere, ordentliche Zimmerchen, das allerdings bald in ein Schlachtfeld verwandelt sein würde, denn draußen gab es immer so viel zu tun, daß keine Zeit fürs Aufräumen blieb. Wenn sie tagsüber in ihr Zimmer stürzte, so nur, um sich eine Jacke zu holen oder sich vor dem Essen schnell mit der Bürste über die Haare zu fahren, dann jagte sie wieder davon, entschlossen, keine Minute zu vergeuden, und immer in Angst, man könnte etwas ohne sie unternehmen. Sie schlüpfte schnell in ihre Sachen fürs Land — ein blaues Hemd, graue Flanell-Shorts mit einem Schlangenschnallen-Gürtel, so wie ihn die Jungens trugen, Turnschuhe und einen alten scharlachroten Schulblazer, dessen Tasche ein Hirschkopf zierte. Den Blazer hatte Denys ihr vermacht. Mit dem Handrücken schnellte sie das lange Haar aus dem Jackenkragen und rannte den Korridor entlang, die kleine Treppe hinunter; aber anstatt den Weg durch die Halle zu nehmen, lief sie über die Hintertreppe und landete mit einem Sprung und viel

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