Mariana
Kinderfrauen hatten Julia und das neugeborene Baby John widerwillig der Obhut von Mrs. Wilcox anvertraut, die verkündet hatte, sie mache sich nichts aus Theater. Sie saßen etwas abseits auf einer Bank an der Seite, einige der Dienstboten standen ganz hinten an der Wand, wohl in der Vorstellung, sie könnten jederzeit durch sie hindurch verschwinden.
Das Publikum lachte an allen richtigen und an nicht allzuvielen falschen Stellen, und Margaret als Butler brachte das Haus fast zum Einsturz, als sie die Karaffe mit dem Saft, der Portwein darstellen sollte, kräftig schüttelte.
«Nicht den Portwein schütteln», ertönte ein gemeinsamer Aufschrei von Großpapa, Onkel Guy und Onkel Tim. Margaret, ganz verwirrt, blinzelte hilflos hinter ihren dicken Brillengläsern zu ihrer Mutter hinüber.
«Schon gut, Liebling», zischte Tante Grace, die von ihrer Häkelarbeit aufsah. «Hübsch, wirklich sehr hübsch. Nur weiter so, Herzchen.» Im Schutz des Stuhles trat Mary Margaret gegen den Knöchel und Denys, der draußen vor dem Fenster ungeduldig auf seinen Auftritt wartete, hörte man sagen: «Mach schon weiter, dumme Ziege.»
Vor dem letzten Akt trat Denys in seinem mit Watte verzierten Samtmantel, der aus der Kostümkiste vom Dachboden stammte, vor den Vorhang und hielt eine Ansprache. Auf Grund langjähriger Erfahrung mit ihren Eltern hatten sie alle dies für unbedingt notwendig erachtet.
«Meine Damen und Herren, während der Hinrichtungsszene im nächsten Akt werden die Mütter (hier flog ein Blick zu seiner eigenen) gebeten, auf ihren Plätzen zu bleiben und nicht auf die Bühne zu stürzen, da der Vorgang weniger gefährlich ist als er aussieht.»
Nach dieser alarmierenden Ankündigung begannen sich die über eine Schnur gelegten Schonbezüge ruckweise zu öffnen. Sie gaben den Blick auf einen Galgen frei. Tante Mavis stieß einen schwachen Schrei aus, Großmama sagte: «Ach, du lieber Himmel», und Taggie hinter ihr: meinte: «Nun sehen Sie sich das mal an», dabei schossen ihre Augenbrauen, die wie dicke, schwarze Raupen aussahen, hinauf bis zum Haaransatz. «Etwas makaber, beinah Tschechow, könnte man sagen», murmelte Onkel Guy, schlug seine langen Beine übereinander und lehnte sich genüßlich zurück. Was jetzt passierte, war vorauszusehen: In dem Augenblick, als Sarah, alias Sir Egbert von Korsika, in Denys Reithosen und Stiefeln und in der grünen Satinbluse ihrer Mutter, durch die Falltür stürzte und gehängt wurde, stürmten sämtliche Mütter und Tanten, vereint in einem einzigen Protestschrei, die Bühne. Die Vorstellung fand ein abruptes Ende, und Denys letzter Satz: «Geliebte, ich liebte dich vom ersten Augenblick an, da ich dich sah», sowie der Kuß, der das glückliche Ende besiegeln sollte, fielen ins Wasser.
«Aber ich hab’s euch doch vorher gesagt», wehrte er sich in dem Tumult. «Ich sag’s ja, diese Frauen!» Achselzuckend verließ er die Bühne und begab sich zu den Männern. Mary war von dem Erfolg ihres Stückes so berauscht, daß das vorzeitige Ende sie nicht sonderlich aus der Fassung brachte, obwohl ihr die entgangene Umarmung von Denys — selbst wenn sie nur zur Aufführung gehörte — natürlich eine Enttäuschung bedeutete. Am meisten bekümmert war Michael, der im Gewand des Henkers bereitstand, um auf seiner Mundharmonika zu spielen, nur... jetzt wollte das keiner mehr hören.
Nach der Vorstellung tranken sie, noch in ihren Kostümen, mit allen anderen zusammen Tee im Gartenhäuschen. In einem kurzen Abendkleid ihrer Mutter, das ihr bis zu den Füßen hing, saß Mary auf Großpapas Knien, sie aßen gemeinsam ein Stück Schokoladentorte, und er sagte ihr, wie gescheit sie sei. Selbst Onkel Lionel lobte das Stück, obwohl er auch hier wieder in seine endlosen, öden Monologe verfiel, die schuld daran waren, daß die meisten Leute nicht mit ihm Bridge spielen wollten, j
Großmama widersprach ihm sanft. «Ein Meisterwerk kann man nicht verbessern, Li», sagte sie aus ihrem Korbsessel mit der hohen Lehne heraus. «Gib mir bitte noch eine Tasse Tee, Mavis, mein Herz. Mein: dummer Hals ist heut wieder so trocken.» Sie fing an zu husten, wobei sie sich ihr kleines Spitzentaschentuch, das immer ein wenig nach Lavendel roch, vor den Mund hielt.
«Du solltest deine Stimme schonen, Mutter», sagte Mavis, «und lieber gar nicht sprechen, wenn du müde bist.» Großpapa schob Mary von seinen Knien und ging zu seiner Frau hinüber, beugte sich über sie und
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