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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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ein Nachthemd aussieht, Großmama?» fragte sie immer wieder, spitzte die Lippen und drehte sich, bevor sie zum Essen hinunterging, mitten im Schlafzimmer ihrer Großmama hin und her.
    «Du siehst darin eher wie eine Sylphide aus, falls du weißt, was das ist», sagte Großmama in ihrem Bett und lächelte. «Es ist bezaubernd, mein Liebling, genau das richtige für —» Sie brach ab, als ein rhythmischer kleiner Trommelwirbel an der Tür erklang. «Das ist Timmy, ich wußte ja, daß er kommen würde. Herein.» Sie hatte die Stimme ein wenig gehoben und diese Anstrengung löste gleich wieder den dumpfen Husten aus. Onkel Tim kam herein. Er ging schnell auf das Bett zu, nahm die Hand seiner Mutter und blickte mit besorgter Miene auf sie hinab. Sein rundes, rotes Gesicht war durch die Fahrt in der Kälte noch röter als sonst.
    «Es geht schon wieder», sagte Großmama, und er küßte sie.
    «Fröhliche Weihnachten, meine Liebe. Ich hab’s wieder mal geschafft, wie du siehst. Zwei Nächte Urlaub habe ich bekommen. Von Plymouth hierher hab ich nur zweieinhalb Stunden gebraucht, was sagst du dazu?»
    «Du fährst viel zu schnell, Timmy, du mußt vorsichtiger sein. Jetzt geh und zieh dich um, sonst kommst du zu spät zum Essen. Sieh dir Mary an, sieht sie nicht süß aus?»
    «Hm — gar nicht übel.» Er blieb auf dem Weg zur Tür stehen, um sie sich aus der Nähe anzusehen, und legte seine Hand auf ihre Schulter. «Du mußt mal zu mir aufs Schiff kommen, damit die Jungens in der Offiziersmesse dich bewundern können.»
    Mary bekam bei dieser verlockenden, aber zugleich auch beängstigenden Vorstellung einen roten Kopf, denn sie erinnerte sich, was der Heldin in dem Stück «Der kühne Oberleutnant zur See», in dem Onkel Geoffrey mitgespielt hatte, passiert war.
    Als Onkel Tim das Zimmer verlassen hatte, ging Mary hinüber zum Bett. Großmamas kleine Hand auf der Daunendecke sah aus, als wäre sie aus Pergament. Mary nahm ihre Hand und spielte an dem mit großen Rubinen und Brillanten besetzten Ring, der sich so leicht um den Finger drehen ließ, auf den er einst genau gepaßt hatte. «Ich wünschte, du könntest zum Essen herunterkommen, Großmama», sagte sie. Es war jetzt mehr als zwei Jahre her, seit Großmamas Befinden ganz plötzlich und rätselhafterweise genommen hatte. So drückten sich jedenfalls die Dienstmädchen aus, wenn sie darüber tuschelten. Der Rollstuhl war im Kutscherhaus verstaut worden, aber der große Korbsessel stand noch immer in der Halle, in der Nische zwischen Kamin und Fensterbank, als ob er die Hoffnung auf ihr Kommen noch nicht aufgegeben habe.
    «Taggie will mich zeitig für die Nacht zurechtmachen», sagte sie zu Mary. «Ich bin heute abend eine müde, alte Frau. Ach, du hast deine Schokolade ja noch nicht genommen.» Sie griff nach der Dose. «Sie wird dir zwar den Appetit verderben, aber das macht nichts. Hier — das letzte Stück. Sag Wilkie, sie möchte mir morgen neue besorgen, ja, mein Liebling? Vergiß es nicht, die Schokolade darf doch bei mir nie ausgehen.»
    «Nein, auf keinen Fall», sagte Mary, «so ein alter Brauch darf nicht gebrochen werden. Gute Nacht, Großmama. Ich werde jetzt besser runtergehen.» Sie beugte sich herab, gab ihr einen Kuß und ging zur Tür. In ihrem weiten, duftigen Kleid fühlte sie sich leicht und beschwingt, und in ihren dünnen Abendschuhen glitt sie über den weichen Teppich, als ob sie barfuß sei. In der geöffneten Tür wandte sie sich um und sah, daß Großmama ihr nachblickte. Ihr Kopf lag leicht zur Seite geneigt auf den Kissen, sie lächelte.
    «Gute Nacht», sagte Mary noch einmal.
    «Gute Nacht. Viel Vergnügen, mein Herz.»
    Als das Essen fast vorüber war und alle Nüsse knackten oder Mandarinen schälten, der Portwein serviert war und Tante Grace sich eine Schale mit Fondants gesichert hatte, wurde das elektrische Licht ausgedreht, damit die Kerzen besser zur Geltung kamen. Auf dem großen Weihnachtsbaum, der am Fenster stand, flackerten hundert kleine, gelbe Lichter, und die hohen, silbernen Leuchter auf dem Tisch waren strahlende Inseln in dem Raum voller Schatten. Man unterhielt sich in verschiedenen Gruppen und hatte die Stühle behaglich zusammengerückt. Glücklich lehnte sich Mary in ihren Stuhl zurück, sie drehte am Stiel ihres Glases, in dem sie sich mit großer Willensstärke noch einen Tropfen des himmlischen, in der Nase kitzelnden Champagners für den Toast aufgehoben hatte. Ihr Blick

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