wanderte um den Tisch herum, und die sonst so vertrauten Gesichter sahen in dem schmeichelnden Kerzenlicht seltsam fremd aus.
Großpapa saß oben an der Tafel an seinem gewohnten Platz mit dem Blick zum Fenster, ihm gegenüber saß Onkel Lionel, hinter dessen schmalem Kopf der Weihnachtsbaum erstrahlte. Großpapas weißes Hemd quoll aus der Weste, und sein lächelndes Gesicht über dem zu engen Kragen war von tiefen Schatten zerfurcht. Schon seit zehn Minuten erzählte er Marys Mutter eine besonders komische Geschichte, und dabei fand und fand er kein Ende, aber Lily wurde nicht müde, ihm aufmerksam zuzuhören. Sie war schon jetzt entschlossen, am Schluß schallend zu lachen, egal, ob sie die Pointe verstand oder nicht. Großpapa gehörte nicht zu jenen alten, boshaften Männern, bei denen einem das höfliche Lachen in der Kehle erstarb, weil sie plötzlich fragten, «was ist denn nun eigentlich an der Geschichte so komisch, meine Liebe?»
Mary fand, daß ihre Mutter heute abend besonders elegant aussah. Ihr kleiner Vogelkopf mit dem kurzgeschnittenen, schwarzen Haar drehte sich flink nach allen Seiten, und ihr schlanker, weißer Hals kam in dem ungewöhnlich schicken Abendkleid aus der South Molton Street besonders zur Geltung. Tante Mavis war sich allerdings noch nicht im klaren, ob das Kleid ihr gefiel oder nicht. Sie saß auf der anderen Seite von Großpapa und trug ein weinrotes Samtkleid, das sich an all den Stellen bauschte, die bei Frauen mittleren Alters ohnehin schon rundlich zu sein pflegen. Michael in seiner Kadettenuniform saß neben ihr. Er war zwar erst ein Vierteljahr in Dartmoor, aber er tat so, als ob er mit seiner kurzen, untersetzten Erscheinung die ganze britische Marine zu vertreten hätte.
Er und Onkel Tim hatten sich während des Essens über Mary hinweg wie zwei alte Seebären unterhalten. Wenn Onkel Tim mit seinem breiten Rücken sich nach vorn beugte, gab er Mary den Blick auf Sarah frei, die groß und massig in einem blauen Satinkleid neben Onkel Lionel saß. Sie war entwickelter als Mary und trug ihr Haar, an dem sich heute abend irgend jemand mit der Brennschere zu schaffen gemacht hatte, kurz. Sie sah vielleicht älter aus, aber Mary wußte, daß sie nicht halb so erwachsen war wie sie selbst. Sarah war in einem Internat, und daß sie dieses abgöttisch liebte und dem Ende der Ferien förmlich entgegenfieberte, trug ihr Marys abgrundtiefe Verachtung ein. Ständig schwärmte sie von einer Miß Soper, deren Bild sie in ihrem Taschentuchbehälter aufbewahrte, und der sie lange, schwülstige Briefe schrieb, die sie Mary vorlas, aber dann doch nicht abschickte, weil sie zu feige dazu war. Die Unterhaltung zwischen ihr und Onkel Lionel schleppte sich mühsam dahin, obwohl er dumpf entschlossen war, in Weihnachtsstimmung zu machen. Zu diesem Zweck hatte er bereits zu Beginn des Essens einen Knallbonbon gezogen und einen albernen lila Papierhut aufgesetzt, den er den ganzen Abend über trug. Tante Grace, auf der anderen Seite von ihm, trug natürlich auch einen Hut, ein Barett, das gut zu ihrem runden Gesicht und ihren hervorquellenden Augen paßte. Sie trug ein geblümtes Georgettekleid mit einem Samtjäckchen, das sie eigenhändig mit allen möglichen Ornamenten aus Wolle bestickt hatte. Durch ihre Kleider wurde man stets darauf hingewiesen, wie gut sie mit der Nadel umgehen konnte. Sie gab sich enorme Mühe, aber weniger wäre hier mehr gewesen. Onkel Guy, zwischen ihr und Margaret, hatte die Unterlippe vorgeschoben und sah recht gelangweilt aus. Mary hätte gern gewußt, ob er in London eine aufregendere Einladung versäumte, denn irgendwo war er immer eingeladen. Einmal hatte Angela ihn bei einem Empfang, zu dem ihre Eltern sie mitgenommen hatten, getroffen. Er hatte mit ihr getanzt und ihr einen Champagner-Cocktail gebracht.
, erzählte sie Mary am nächsten Tag, .
In der Nähe von Margaret, die ein gelbes Kleid mit einem dazu passenden, etwas schmuddeligen Haarband trug, saß Denys. Seit er erwachsen war, stellten die Leute mehr denn je eine unglaubliche Ähnlichkeit mit seinem Vater fest, aber Mary fand, daß er besser aussah, als Onkel Guy jemals ausgesehen haben konnte. Er hatte einen Smoking an und sah mit seinen glänzenden Haaren, seinen dunklen Augen und dem weichen Mund unerträglich gut aus, wie ein Bild von Rupert Brooke. Im nächsten Jahr würde er nach Oxford gehen. Er rasierte sich bereits