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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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törichte und doch so amüsante Onkel Geoffrey. Mary stand ganz verloren da, und wegen der anderen konnte sie nicht einmal weinen.
    «Haben wir uns nicht schon mal irgendwo gesehen?» fragte einer von ihnen, als sie sich zum Gehen wandte, und Mary erkannte , den Fettwanst aus dem Café Royal. Er war noch fetter geworden, sah noch schäbiger aus, war aber genauso überströmend herzlich wie damals.
    «Ist denn so was möglich», sagte er und schüttelte ihr fast die Hand aus dem Gelenk. «Das ist aber eine Überraschung. Die Nichte von unserem guten, alten Percy — und schon ganz erwachsen.» Er hängte sich bei ihr ein. «Na, wie wär’s? Sind die Lokale schon auf? Kommen Sie mit, kleines Fräulein Wie-war-doch-Ihr-Name? und trinken Sie auch einen Schluck auf das Wohl von Ihrem Onkel Percy.»
    «Ich kann leider nicht», sagte Mary, «ich muß in die...» Sie hatte ihren Schulhut abgenommen und ihre kurze Jacke bis zum Hals zugeknöpft, so daß man ihre Schulkleidung darunter nicht sehen konnte, «ich muß etwas erledigen.»
    «Ach Unsinn, seien Sie kein Spielverderber. Oder dürfen Sie vielleicht noch nicht in solche Lokale?»
    «Natürlich darf ich. Aber ich muß wirklich...»
    «Also dann kommen Sie mit.» Sie gingen in ein großes Lokal gleich am Bahnhof und setzten sich auf ein Ledersofa im Vorraum, auf dessen Fußboden noch Zigarettenstummel vom Abend zuvor lagen.
    «Ich gebe eine Runde aus», sagte , «was wollt ihr haben?» Mary machte es wie eins der anderen Mädchen und sagte «Sherry», und als er kam, trank sie ihn in einem Zug herunter, weil sie wußte, daß er ihr nicht schmeckte. Dann rutschte sie unruhig hin und her und überlegte, wann sie wohl weg könnte, ohne unhöflich zu erscheinen. Die anderen bestellten eine zweite Runde, offenbar hatten sie sich für den Rest des Tages dort niedergelassen.
    Mary stand auf, ihren Hut hielt sie hinter sich versteckt, sie fühlte sich leicht beschwipst. «Ich muß jetzt wirklich gehen, vielen Dank, es war furchtbar nett.» Trotz des allgemeinen Protests ging sie Schritt für Schritt zurück, stieß dabei an einen kleinen Tisch, auf dem ein Glas Portwein umfiel, und entfloh. Draußen an der Endhaltestelle mußte sie fast zehn Minuten auf ihren Bus warten und stellte sich vor, was für einen albernen Eindruck sie machen würde, wenn die ganze Gesellschaft jetzt herauskäme und sie dort noch anträfe. Als sie ein- oder zweimal aufgestoßen hatte, fühlte sie sich bedeutend besser.
    Während der ganzen Fahrt im Bus beobachtete sie ängstlich alle Uhren. Als sie ausstieg, war es fast zwölf Uhr. Sie schoß blindlings über die Hauptstraße, sehr zur Empörung eines Busfahrers und zweier Männer, die ihren Wagen gerade noch herumreißen konnten. Zwölf Uhr — in diesem Augenblick begann, begleitet von vielen Seufzern und dem Klappern der Pultdeckel, in der sechsten Klasse der Geschichtsunterricht bei Miß Langford. Sie war Marys Klassenlehrerin und würde sofort merken, daß Mary eben erst in der Schule erschienen war. Was sollte sie sagen? Was konnte sie angesichts dieses starren Reptilienblicks schon sagen? Ein Sherry war nicht genug, um sich gegen die Ängste zu wappnen, die mit jedem Schritt, um den sie sich der Schule näherte, wuchsen.
    In der Garderobe riß sie sich den Mantel herunter und rannte nach oben, ohne die Schuhe zu wechseln, was allein schon ein Verbrechen war. Es war beklemmend, weit und breit der einzige Mensch zu sein. In den leeren Gängen spürte sie den Hauch drohenden Unheils. Miß Everard, die Lacrosse-Lehrerin, kam geradenwegs aus dem Lehrerzimmer und betrachtete Mary mit Argwohn, sagte aber nur: «Schritt, Shannon, Schritt», als ob Mary ein Pferd sei.
    Durch das Glasfenster in der Tür bot sich Mary eine Szene, bei der sie nur allzuoft mitgewirkt hatte. Die Mädchen saßen mit gesenkten Köpfen, einige rekelten sich gelangweilt, andere folgten aufmerksam dem Unterricht, und Miß Langford sah noch katzenfreundlicher und unmenschlicher aus als sonst. Sie stand gerade auf und schrieb etwas an die Tafel, wobei sie der Klasse den Rücken zudrehte. Mary holte tief Luft, schlüpfte hinein und schloß leise die Tür hinter sich. Sie ging an ihren tuschelnden und flüsternden Mitschülerinnen vorbei, schlug auf eine Hand, die sich ausstreckte, um sie zu kneifen, und stand dann auf der kleinen Plattform vor dem Katheder.
    «Ja, was gibt es?» Miß Langford, die Kreide in der Hand, wandte sich um. «Oh, guten Abend, Shannon.» Mary

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