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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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sie gesprungen, einmal bin ich runtergefallen, und erst drüben bei Ilfracary war Schluß. Deshalb kommen wir auch so spät zurück.» Sie wollte ihm alles ganz genau erzählen, denn er hörte immer gern, wie ihr Tag verlaufen war, aber jetzt sagte er nur: «Vollkommen erschöpft ist die Stute», und strich mit der Hand über Joys Rippen.
    «Was ist denn los, Tom?» Denys erschien mit Buck in der Tür, er blinzelte in dem grellen, elektrischen Licht.
    «Ach richtig, das wißt ihr ja noch nicht», brabbelte Tom, der Joys Sattelgurt losmachte, vor sich hin, «eure Großmutter — die — die ist heut nachmittag gestorben...»
    Das war das fünfte Ereignis in diesem Winter.

5

    Mrs. Shannon sah mißmutig aus dem Fenster. Auf der gegenüberliegenden Seite strömten in Regenmäntel gehüllte Menschenmassen in die Ausstellung . «Mary», sagte sie, «diese Wohnung hier macht mich noch krank. Was hältst du davon, wenn wir unsern Vertrag im Herbst nicht erneuern und uns irgendwo ein winziges Häuschen mieten? Ich möchte eine eigene Haustür haben, und manchmal frage ich mich, ob man heutzutage überhaupt noch in West Kensington leben kann. In jedem Kabarett werden schon Witze über die Gegend gemacht. Ich möchte auch näher am Geschäft wohnen — an meinem Geschäft.»

    Mit dem Geld, das Großmama ihr hinterlassen hatte, war sie Teilhaberin von Mrs. Armitage geworden. Diese gehörte zu den Frauen, die stets allen Launen nachgaben; ihrer letzten bereits wieder überdrüssig, war sie sehr froh, die Verantwortung für das Geschäft mit jemandem teilen zu können.
    «Wie fändest du das, Küken?» fuhr sie fort und wandte sich vom Fenster ab. «Du und ich in einem patenten kleinen Haus mit Geranien-Töpfen und karierten Vorhängen in der Küche.»
    «Hm», sagte Mary, ohne von ihrem Geschichtsbuch aufzusehen, das sie zu studieren versuchte, während sie nebenbei ihren Tee trank. In vier Wochen sollte sie die Reifeprüfung ablegen; sie lernte fieberhaft und stopfte sich den Kopf so voll mit Fakten aller Art, daß sie das Gefühl hatte, er müsse zerspringen.
    Sie versuchte, die Zeit aufzuholen, die sie verloren hatte. Als sie hörte, daß Großpapa Charbury verkaufen und ganz am Berkeley Square wohnen würde, wo er bisher nur seine Stadtwohnung hatte, schien alles so hoffnungslos, daß sie jeden Gedanken an Arbeit aufgegeben hatte. Nichts erschien ihr mehr wichtig, zumal auch Denys ihre Briefe nicht beantwortete. Nur eine Ansichtskarte kam und auf der stand: «Kopf hoch. Habe entsetzlich viel zu tun. Dies für heute. Herzlichst D.»
    Sie hatten sich in den Ferien getroffen, in diesen tristen Osterferien, und London war ihr noch nie so häßlich und unfreundlich vorgekommen. Sie konnten nur ins Kino oder Spazierengehen — beides mochte er nicht. Einmal war sie zum Tee zu ihm nach Hause gegangen, die ganze Familie war ausgeflogen, und sie saßen auf Kissen vor dem Kamin im Wohnzimmer. Eine halbe Stunde lang war alles vollkommen gewesen — so wie früher. Dann platzte Sarah herein, drehte alle Schalter an und sagte: «Warum in aller Welt sitzt ihr im Dunkeln? So was Albernes.»

    Die Prüfung dauerte drei Tage und fand in der Aula statt. Die Stühle und Klapptische waren in solcher Entfernung voneinander aufgestellt, daß nicht einmal Muriel Hopkins, die Expertin im Schielen nach allen Seiten war, mogeln konnte. Die Adleraugen einer Lehrerin, die auf dem Podium saß, schweiften unablässig durch den Raum. Als Beryl Massey einmal hinausging, weil sie sich übergeben mußte, wurde sie auf ihrem Weg zum Waschraum und zurück von einer Vertrauensschülerin begleitet, damit sie auch ja nicht das Datum der Schlacht am Boyne-Fluß nachschlagen konnte, während sie sich in höchster Not befand.
    Bei jeder Prüfungsfrage, die Mary vorgelegt wurde, sank ihr Mut um einige Grade. Die Fragen waren unmöglich, sie waren unfair, es handelte sich um Dinge, von denen sie noch nie auch nur gehört hatte. Mitten in dem Versuch, einer unübersetzbaren lateinischen Ode einen Sinn abzuringen, die noch nicht einmal den Anstand besaß, ein Verb in den ersten vier Zeilen aufzuweisen, mußte sie plötzlich an Charbury denken, und volle zehn Minuten der kostbaren Zeit schluchzte sie, den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt, verstohlen vor sich hin. Als sie im Mündlichen in Französisch herankam, war sie so entnervt, daß sie kaum mehr als «Oui» und «Non» und «Naturellement» herausbrachte, worauf der Prüfer nach einem

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