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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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sich langsam nach oben hinter die Bühne. Angelas Szene war fast zu Ende; Mary spähte durch einen Schlitz in den Vorhängen und sah ihr zu. Sie war großartig. Sie verdiente den Preis. Es mußte wundervoll sein, wenn man so spielen konnte.
    Der Gedanke an das, was ihr bevorstand, lag ihr wie ein Stein auf der Seele.
    Als Angelas Szene beendet war, ging Mary in die Ecke hinüber, von der aus sie auftreten mußte, und stellte fest, daß Bob mit seinem angstvollen Gesicht nicht annähernd mehr so gut aussah wie zuvor.
    «Hör mal, daß du mir ja — — —» fing er an, aber Mary war am Ende ihrer Kräfte. «Halt die Klappe», fauchte sie ihn, zitternd vor Wut, an, während sich draußen ein paar Leute damit abquälten, ein Sofa von der Bühne zu schieben. Abschlachten wollte man sie in der Arena, wie bei den alten Römern, weiter nichts. Angebrüllt oder begönnert zu werden von einem weibischen Jüngling, Zielscheibe des Spottes vieler blöder, glotzender Gesichter zu sein — dafür war sie gut genug. Sie bebte vor Zorn, als der Vorhang aufging und Bob sie auf die Bühne hinausstieß. Die ersten Zeilen sprach sie ganz automatisch. Etliche Besucher, die nach drei Stunden genug hatten, waren gegangen, aber der Saal war gefüllt von boshaften, tuschelnden Schülern. Der fette Kahlkopf in der ersten Reihe schlief schon fast, und die beiden anderen sahen gelangweilt und müde drein.
    Bob trat auf, und während sie in der Luft herumfuchtelte und so tat, als ob sie die noch immer nicht vorhandene Staffelei aufstellte, kam ihr wieder diese Wahnsinnsidee, die sie schon in der Garderobe durchzuckt hatte. Ihr schwelender Groll brach sich plötzlich Bahn. Erst einmal in ihrem Leben — in St. Martin’s — war sie von einer so blinden Wut gepackt worden, daß die Worte aus ihr herausbrachen, ehe sie sie zurückhalten konnte, und jetzt, genau wie damals, sah sie nur noch rot. Sie fing an, den Clown zu spielen.
    Was eigentlich in ihr vorging, konnte sie später nie mehr ganz genau erklären. Sie geriet außer Rand und Band, eine Art Rausch überkam sie, dem sie sich ganz hingab, sie spielte sich ihre ganze Wut von der Seele. Während sie wie irrsinnig auf der Bühne herumtobte und sich bis an die Grenzen der Hysterie steigerte, streifte ihr Blick hin und wieder die erstarrten Gesichter der Zuschauer. Rockys Miene zeigte verständnislose Wut, auf Ralph O’Connors dunklem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, und Mervyn Garstein warf sich in seinen Stuhl zurück und lachte schallend. Sie war aufgelöst, entfesselt, und fing an, ihren Text mit französischem Akzent herzusagen. Bob war vollkommen fassungslos, er zischte, fluchte und versuchte, sie zu packen, wenn sie in seine Nähe kam. Fast jede Zeile mußte ihm souffliert werden.
    Erst als das ungläubige Kichern im Publikum immer stärker wurde und zu donnerndem Gelächter anschwoll, ergriff Miss Gould die Initiative und ließ den Vorhang fallen. Mary kam schlagartig zu sich und blieb wie angewurzelt stehen, sie schwankte ein wenig, als erwache sie aus einem Trancezustand. Als ihr klar wurde, was sie getan hatte, wurde ihr wunderbar leicht ums Herz. Sie war frei. Man würde sie hinauswerfen und sie war glücklich darüber. Warum nur hatte sie diesen Druck so unnötig lange ertragen? Sie fühlte sich wie ein Mensch, der zu einer anderen Religion übergetreten war und nun das Heil sah. Aber da stürzte man sich bereits von allen Seiten voller Entrüstung auf sie, und ehe sie wußte, wie ihr geschah, stand sie in Rockys Büro und starrte ihn über den großen, schäbigen Schreibtisch hinweg an. Seine Strafpredigt tat sie innerlich mit einem verächtlichen Achselzucken ab.
    «Raus!» sagte er. «In fünf Minuten haben Sie die Schule zu verlassen, und wenn Sie es wagen sollten, das Haus noch einmal zu betreten — .»
    «Leben Sie wohl», sagte Mary liebenswürdig lächelnd und streckte ihm die Hand hin. «Und vielen Dank für alles, was Sie mir beigebracht haben.» Sie ging schnell hinaus, ehe ihre frühere Angst vor ihm wieder die Oberhand bekommen und ihren würdevollen Abgang beeinträchtigen konnte. Draußen im Korridor wartete Miß Yule. Sie rang die Hände und war einem Nervenzusammenbruch nahe. Der Vorfall ging weit über das hinaus, was dieses blutarme Wesen verkraften konnte.
    «Ich habe Ihre Sachen an den Ausgang gestellt», sagte sie und richtete den tränenfeuchten Blick auf Mary.
    «Aber ich muß noch einmal runter in die Garderobe und mich verabschieden. Was sollen

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