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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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auf. Neben ihm saßen drei Männer in Armsesseln. Ein jüngerer Mann, ein dicker Mann, der gähnte, und einer mit einem hageren, finsteren Gesicht, in dem Mary zu ihrem Entsetzen einen namhaften Schauspieler erkannte, den sie sehr verehrte.
    Die Befangenheit, die sie auf den Proben mit Rocky empfunden hatte, war nichts im Vergleich zu der brennenden Qual, die sie — dunkelrot vor Scham, jetzt durchlitt. Jeden Satz, den sie sprach, hörte sie wie von jemand anderem gesprochen, und jede Bewegung, die sie machte, empfand sie als grotesk. Erstaunlicherweise gab Bob sich sogar Mühe. Er zeigte eine sorglose Leichtigkeit, die der Rolle genau entsprach. Und seltsam, je natürlicher und gelöster er wurde, um so verkrampfter wurde Mary, so, als spüre sie, wie das Publikum sie miteinander verglich.
    Dann kam der schreckliche Augenblick, in dem sie den Kopf schüttelte, damit sich das aufgesteckte Haar löste, und zu ihrem Entsetzen feststellte, daß das Aufstecken so gut geglückt war, daß die Haare gar nicht daran dachten, herabzufallen. Als sie sich schließlich die Kämme herausriß, sah sie auf Onkel Geoffreys Gesicht ein breites Grinsen. Dieser Schuft, dieser gemeine Schuft. Von da an blickte sie nicht mehr ins Publikum, und das meiste von dem, was sie zu Muriel Willoughby sagte, blieb vermutlich unverständlich. Am Ende der Szene war sie den Tränen nahe. Bei dem Satz «Daddy, komm zurück, ich will nicht nur deine Traumtochter sein», brach ihr die Stimme, und das machte diese Zeile zu der einzig überzeugenden ihres ganzen Auftritts.
    Mit einem Ruck fiel der Vorhang. Ohne irgend jemand anzusehen, drehte sie sich um und lief in dem Bewußtsein, die schwerste Prüfung ihres Lebens hinter sich gebracht zu haben, hinunter in die Garderobe. Sie konnte noch keinen klaren Gedanken fassen, aber ein wundervolles Gefühl der Erleichterung überkam sie bei der Vorstellung, daß sie das nie wieder durchzumachen brauchte.
    In der Garderobe überschüttete jeder jeden mit Lobesworten in der Hoffnung, etwas davon zurückzubekommen. Mary nahm die Abschminke, um sich das Gesicht abzureiben, da kam Angela, die noch nicht abgeschminkt war und bildhübsch aussah, zu ihr und sagte: «Ich hab mit meiner und deiner Familie zusammengesessen. Dein Onkel Geoffrey ist einfach zum Brüllen. Er hat versucht, mit meiner Mutter anzubändeln. Mary, du warst wirklich gut. Ich hab’s dir ja vorher gesagt.»
    «Sprich nicht mehr davon», sagte Mary und schüttelte sich, «ich möchte das ein für allemal vergessen. Aber du, Angela, du warst einfach-—»
    Sie wurde von Miß Gould unterbrochen, die von der Tür her bellte: «Auf die Bühne, Kinder, los!»
    Mary puderte sich hastig ihr fettglänzendes Gesicht und ging — immer noch in ihrem kindlichen Kleidchen — mit den anderen auf die Bühne, wo sie flüsternd und sich drängelnd auf das Urteil der Kritik warteten. Vorgelesen wurde es von dem Schauspieler Ralph O’Connor, düster, unerhört männlich, faszinierend häßlich, so sah ihn jedenfalls sein Publikum. Er erhob sich träge, hielt ein langes, weißes Blatt Papier in der Hand und rief die Schüler in alphabetischer Reihenfolge auf. Jeder erhielt eine Note, die in Punkten ausgedrückt wurde, und eine kurze Kritik. Seine Stimme war ausgeglichen und sachlich, und er hatte eine eindrucksvolle Art, nach einem Namen gelegentlich eine kleine Pause einzulegen und forschend zur Bühne hinaufzusehen: «Ambrose - — Argyll - - - Armstrong - —» Bei hieß es: «Zweiundneunzig Punkte. Sein Romeo war ausreichend, in der schwierigen Rolle der anderen Szene wurde eine außerordentlich gute Leistung geboten.» Aufgeregtes Raunen erhob sich, was sich verstärkte, als er vorlas: «Shaw — Zweiundneunzig Punkte.» Er hob das scharf geschnittene Gesicht und sah ruhigen Blickes nach oben. Mary drückte wie im Traum Angelas Arm, sie lauschte den Worten nach, die noch in ihrem Ohr klangen: «Shannon: Zwanzig Punkte. Muß noch lernen, sich zu bewegen. Oberflächliche Darstellung, wahrscheinlich ungenügend geprobt.» Mary biß sich auf die Lippen, während er ungerührt weiterlas, als wisse er nicht, daß er die Ängste und Hoffnungen aller in der Hand hielt. «Ungenügend probiert!» Um diesen Mann zu sehen, um ihm zu applaudieren, hatte sie noch Geld bezahlt. Sie schwor, niemals wieder in eins seiner Stücke zu gehen. Zwanzig Punkte. Niemand hatte weniger als fünfundzwanzig, mit Ausnahme von Muriel Willoughby, und die zählte nicht. Mary war

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