Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
geschärft, obendrein habe ich Einsicht in Dinge gewonnen, die mir zuvor völlig unbekannt waren. Und ich werde vor allem Ihrer ausgezeichneten Küche hinterhertrauern! O ja!“
Zum Abschied steckte ich ihm einige Gläser mit eingelegtem Gänsefleisch in seine Reisetasche. Beide winkten wir ihm ein wenig wehmütig nach, als er den Berg hinunterfuhr. Auch wir hatten uns an ihn und seine liebenswürdige Art gewöhnt.
Unsere unfreiwilligen Ferien waren vorüber. Jetzt hieß es für Bérenger, wieder selbst an die Arbeit zu gehen, Krankenbesuche zu machen, Gottesdienste vorzubereiten, sich um jedermann und alles zu kümmern. Über das Geheimnis von Rennes-le-Château wurde längst nicht mehr geredet, auch nicht über Gélis Ermordung oder Didiers Unglück. Manches Mal, wenn ich an die zurückliegenden bösen Ereignisse dachte, sagte ich zu mir: Es ist schon so, Marie, wer nicht über den Berg steigt, der kommt auch nicht ins Tal!
Mit dieser erneuten, beinahe beschaulichen Zweisamkeit war es mit einem Male vorbei, als im Frühsommer des darauffolgenden Jahres unverhofft Emma ins Haus schneite. Antoine war zufällig am Bahnhof von Couiza gewesen, um eine größere Sendung abzuholen, und hatte sie mit dem Gig heraufgebracht. Ich dachte, mich trifft der Schlagfluss, als sie plötzlich ausstieg. Ich war gerade in meinem Gemüsegarten gewesen, um Lauch, Zwiebeln und einen Wirsingkohl zu holen, den ich zum Mittagessen abwellen und mit einer würzigen Fleischfarce zu füllen gedachte.
„Schande und Schmach“, entfuhr es mir, und der Wirsing kollerte aus meiner hochgerafften Schürze, „was machen Sie hier, Madame Calvé?“
„Ach, liebste Marie“, Emma nahm den weißen Strohhut ab und schüttelte ausgiebig ihre dunkle Lockenpracht, „habe ich dich so erschreckt? Das tut mir aufrichtig leid. Ist unser Abbé anwesend?“
Ich nickte nur.
Antoine hatte in der Zwischenzeit zwei große Koffer und zwei lederne Reisetaschen abgeladen und war bereits dabei, sie in die Villa zu schleppen. Guter Gott, dem Umfang ihres Gepäckes nach zu urteilen, gedachte die „Amsel“, wie ich sie im stillen nannte, Jahre bei uns zu bleiben! Was sollte ich nur tun?
„Dann führ mich bitte zu ihm, ich habe etwas außerordentlich Wichtiges mit ihm zu bereden!“ forderte sie mich auf.
Mir war, als zöge mich etwas Schweres zu Boden. Noch nicht einmal zu fragen, welches Gästezimmer ich herrichten sollte, vermochte ich. Wortlos bedeutete ich ihr, mir zu folgen. Ich legte das Gemüse auf die Stufen, die zur Villa führten, stolperte mehr schlecht als recht durch den Park in Richtung Turm – Emma stolzierte hinterher.
Ach, es hätte ein Tag sein können, der einen trunken machte. Die Sonne schien warm, ein angenehmes Lüftchen wehte, das frisch gemähte Gras roch nach ausgelassenen Kindertagen. Doch ich hörte nur dumpf die Pfauen schreien und spürte zugleich, wie mein Seelenfinger zu pochen anfing. Konnte dieser Kelch nicht an mir vorübergehen? An der Treppe zum Turm drehte ich mich nach Emma um und sah, dass sie stehengeblieben war, um sich ein Zweiglein Jasmin zu pflücken. Sie hielt ihn sich vor die Nase, verdrehte verzückt ihre Augen und stieß zugleich einen tiefen Seufzer aus, der wohl glückliche Erleichterung signalisieren sollte. Dann steckte sie die Blüten an das Revers ihres herrlichen, smaragdgrünen Kostüms, das ein Vermögen gekostet haben mochte.
War ich auch, verglichen mit den Landfrauen hier, geradezu elegant gekleidet, so kam ich mir doch in Gegenwart von Emma unweigerlich wie ein Dorftrampel vor.
„Marie“, sagte sie, und sie lächelte dabei sanft, „dies ist ein Tag, an dem man das Wachsen der Zweige an den Bäumen hören kann, findest du nicht auch?“
Bérenger war unverkennbar ebenso überrascht wie ich.
„Du hier, Emma?“ hatte er hervorgestoßen, bevor er pflichtschuldigst aufgesprungen war, um sie zu umarmen. Sein Gesicht war dunkelrot, die Überraschung nicht gespielt – so gut kannte ich ihn. Also hatte es lange Zeit keinen Briefwechsel zwischen den beiden gegeben. Es sei denn, mir wäre etwas entgangen.
„Ach, Bérenger, wie schön dich gesund und wohlbehalten wiederzusehen!“ Sie tätschelte ihm doch tatsächlich die linke Wange. „Du schaust wirklich gut aus, mein Bester! Weißt du, ich war fast das ganze letzte Jahr über in Amerika, und jetzt, nach meiner Rückkehr – also man hört ja so allerhand über dich in Paris, nein wirklich, ich habe mir große Sorgen gemacht. Große Sorgen,
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