Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Bérenger seinen Namen an den Rand des Wochenblattes gekritzelt hatte.
Am Abend nach Martys Ankunft sprach ich Bérenger noch einmal darauf an.
Er lachte. „Das war damals, als du deiner Neugierde wegen das Gemüse hast anbrennen lassen, nicht wahr?“
Ich nickte und schenkte ihm ein nettes Lächeln. „Das hätte mir nicht passieren dürfen ...“
„Auf den Lippen des Einsichtigen findet man Weisheit“ spottete Bérenger. „Über Hoffets Rolle willst du also etwas erfahren? Nun, da muss ich ein wenig ausholen. Um die gefürchtete Modernistenbewegung mit ihrer allzu freizügigen Geisteshaltung – Pius bezeichnet sie als Sammelbecken aller Häresien – wieder einzudämmen, hat Rom eines Tages eine Handvoll hochintelligenter junger Priester eingesetzt. Hoffet befand sich unter ihnen. Das war auch der Grund, weshalb mich Boudet seinerzeit zu ihm ans Seminar St. Sulpice geschickt hat. ´Wenn dir einer weiterhelfen kann mit den Pergamenten, so Hoffet. Kein anderer`, hatte er gesagt. Und er hat recht gehabt mit seiner Einschätzung.“
Nachdenklich sammelte Bérenger mit seinem angefeuchteten rechten Zeigefinger einige Brösel auf, die er während des Essens auf dem Tisch verstreut hatte.
„Also, der Papst und seine Gefolgschaft hofften inständig, dass gerade diese jungen Theologen mit unwiderlegbaren Beweisen die Modernisten, diese frechen Gegner des Katholizismus – wie es hieß –, schlagen würden, die sich beispielsweise erdreistet hatten, die jungfräuliche Empfängnis Mariens anzuzweifeln und – ich bitte dich jetzt nicht zu erschrecken, liebe Marie! – sogar die Gottheit Christi und seine Auferstehung. Zum Leidwesen des Papstes trat jedoch das Gegenteil von dem ein, was er und seine Kardinäle sich erhofft hatten. Die Priester – ´diese junge, katholische Elitetruppe`, wie auch das Journal „Demain“ schrieb – waren bei ihren Studien auf eklatante Widersprüche gestoßen. Je länger sie sich mit dem Buch der Bücher beschäftigten, je gründlicher sie sich die hebräischen und aramäischen Handschriften ansahen, desto klarer wurde ihnen, dass einige Dogmen – das sind Lehrsätze, liebe Marie, die seit Jahrhunderten feststehen – nicht stimmen konnten. Rom war entsetzt, und man entschloss sich, einen eisernen Riegel vor diese überraschend gefährlichen Forschungen zu legen. Der Papst veröffentlichte daher im Jahr 1904 zwei Enzykliken, die die weitere Erforschung der Ursprünge des Christentums rigoros verboten. Als Strafe für ihr uneinsichtiges Verhalten zwang man die Elitepriester im letzten Jahr einen sogenannten ´Antimodernisteneid` zu schwören. Die meisten schworen – Hoffet übrigens auch -, einige Kühne jedoch nicht, was schwerwiegende Verurteilungen nach sich zog, Exkommunikation beispielsweise. Zukünftig müssen übrigens alle Kleriker, bevor sie höhere Weihen erreichen, in Anwesenheit von Zeugen diesen ´Knebelungseid`, wie manche meinen, ablegen.
„Aber warum hat Hoffet abgeschworen? War er sich seiner Sache plötzlich nicht mehr sicher, oder hatte ihn der Mut verlassen?“
„Nein, das glaube ich nicht, Marie. Manchmal entscheidet man sich eben wider besseren Wissens dafür, im stillen mit seiner Arbeit weiterzumachen, auf einen günstigeren Zeitpunkt zu warten, auf einen aufgeklärteren Papst vielleicht, um gewisse Ergebnisse mit seiner Zustimmung irgendwann der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Wäre Hoffet stur geblieben, hätte man ihn exkommuniziert und seines Amtes enthoben – ihn kaltgestellt also –, so wären ihm alle Möglichkeiten der Forschung von heute auf morgen entzogen worden. Seit einigen Jahren arbeitet er in der Urkundenabteilung des Vatikans.“
Nun wusste ich also gründlich Bescheid über die Modernistenbewegung und die Rolle, die Hoffet in ihr gespielt hatte, aber Bérengers Ausführungen hatten mich auf keine Weise beruhigt. Im Gegenteil.
„Meine eigene Forschungsarbeit habe ich – nicht zuletzt dank Hoffets klugem Kopf - zu Ende gebracht, Marie“, hatte er am Schluss des Gespräches ungewohnt feierlich gesagt. „Ich habe also nichts mehr zu verlieren. Höchstens noch meine Ehre.“
„Oder dein Leben“, gab ich zur Antwort.
Bérenger jedoch wollte meine Warnung nicht hören. Wer Wind sät, wird Sturm ernten.
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„Wenn der Vogel nicht singt,
so ist das ein schlechtes Zeichen ...“
Jacques Prévert , Pour faire le portrait d`un oiseau
„Freispruch, Marie! Freispruch, Freispruch! Hol eine Flasche Champagner aus dem
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