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Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Marie ... : Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Luise Köppel
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Carcassonne konnte er doch nicht an Marty auslassen!
    Mit rotem Kopf und sichtlich nervös trat der Postulant von einem Fuß auf den anderen. Schweißperlen standen ihm auf der Oberlippe. Ich sah, wie er seine wohl feucht gewordenen Hände heimlich an seiner Soutane abwischte.
    „Von solchen Sachen haben wir nichts gehört, Hochwürden“, versuchte er sich zu rechtfertigen. Er tat mir wirklich leid, dieser junge Mann, und mein Groll gegenüber Bérenger verstärkte sich.
    „Nun, beruhigen Sie sich wieder“, lenkte Bérenger ein. „Ich will es Ihnen ja gern glauben, Marty. Sicher tragen Sie keine Schuld. Aber unsere Seminare – ich sage es immer –, die Ausbildung dort lässt auf der ganzen Linie zu wünschen übrig. Nun dürfen Sie nicht glauben, dass ich einem blutjungen treuen Sohn unserer römisch-katholischen Kirche am Tage seines Amtsantrittes modernistisches Gedankengut aufschwatzen will, nein. Dennoch erachte ich es für wichtig, dass Sie erfahren, dass jene keine Ketzer sind, wie Rom behauptet. Im Gegenteil. Fogazzaro, der obendrein ein hervorragender Schriftsteller ist – kennen Sie ihn zufällig?“
    Marty musste schon wieder verneinen.
    „Fogazzaro“, fuhr Bérenger eifrig fort, „hat in seinem Roman ´Il Santo` – er kam, glaube ich, im Jahr 1905 heraus – auf vier böse Geister hingewiesen, die in unsere Kirche eingedrungen seien: ´Den Geist der Lüge, den der unumschränkten Macht, den Geist des Geizes, der die evangelische Armut verhöhnt, und am Ende den Geist des starren Festhaltens am Alten`, welcher dereinst auch die jüdischen Rabbis dazu trieb, Jesus abzulehnen und zu verurteilen. Letztere Interpretation stammt übrigens von Tyrell, nach dem ich Sie vorhin gefragt habe.“
    Bérenger hielt kurz inne, um mit zusammengekniffenen Augen den jungen Priester zu mustern, der völlig verwirrt vor ihm stand, jedoch unentwegt mit dem Kopf nickte.
    „Wenn ich Ihnen einen väterlichen Rat geben darf, lieber Freund“, fuhr Bérenger jetzt in begütigendem Tonfall fort, „so feilen Sie in den nächsten Jahren noch ein wenig an Ihrer Allgemeinbildung, lesen Sie alles, was Ihnen in die Hände fällt – nicht nur das, was Rom empfiehlt. Fangen Sie mit Fogazzaro an, ich leihe Ihnen sein Buch gerne aus, und versuchen Sie danach, den geistigen Problemen unserer Zeit aufgeschlossen zu begegnen. Wie wollen Sie sonst bestehen, wenn Sie eines Ihrer zukünftigen Schäflein mit theologischen Fragen in die Enge treibt? Rom ist weit weg, und wer nichts weiß von der Vielfalt dieser Welt, wer sich nicht ständig mit ihr aufs neue auseinandersetzt, der kann auch die Welt nicht verbessern.“
    Marty nickte noch immer heftig. Ich hätte wer weiß was dafür gegeben, seine Gedanken lesen zu können.
    „Sie haben in allem recht, Monsieur le Curè“, stieß er ein wenig heiser hervor. „Ich war blind und ...“
    „Schon gut, schon gut!“ beschwichtigte ihn Bérenger. „Genug für heute mit Belehrungen und Eingeständnissen. Lassen Sie mich wieder auf meinen Ausgangspunkt zurückkommen, nämlich auf die allseits gefürchtete Suspendierung a divinis. Nachdem Tyrell verstorben war – man hatte ihn 1907 vom Sakramentenempfang ausgeschlossen -, wagte es sein Freund, ein gewisser Abbé Bremond, am Grab ein liturgisches Gebet für ihn zu verrichten. Postwendend wurde auch er a divinis suspendiert. Und jetzt hören Sie genau zu, werter Kollege: Die Strafe wurde wieder aufgehoben, nach zähen Verhandlungen zwar – aber dennoch. Ähnlich wird es mir ergehen, lieber Kollege. Sie werden sehen, es wird nicht lange dauern, und ich bin völlig rehabilitiert.“
    Bérenger seufzte tief und fasste Marty am Arm.
    „Und jetzt kommen Sie mit mir, damit ich Ihnen alles Nötige zeigen kann. Später wird uns die Marie einen guten Kaffee kochen, nicht wahr?“
    Ich nickte verwirrt.
    Die beiden gingen hinaus, und ich konnte nur noch hören, dass Bérenger seinem Nachfolger generös das anbot, was jener sicher für selbstverständlich, ja bis vor kurzem für seine Pflicht gehalten hatte: „Ich habe übrigens ganz und gar nichts dagegen, wenn Sie bereits heute die Abendmesse halten, Marty. Walten Sie völlig autonom Ihres Amtes. Der Herr wird bei Ihnen sein, Bruder!“

    Was die Modernisten angeht, von denen Marty nichts gehört zu haben vorgab oder tatsächlich nichts wusste, so war mir der Artikel aus der „Demain“ nicht entfallen. Brennend interessierte mich vor allem die Rolle, die Hoffet dabei spielte, nicht zuletzt, weil

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