Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
verschwand hustend, jedoch dieses Mal ohne unnützes Geschwätz. Die Straße war noch immer verharscht. Warum nur hatte Félix ausgerechnet gestern nach Limoux fahren müssen, um seine Großmutter zu beerdigen?
Ich war mit Bérenger allein. Vorsichtig zog ich ihm die nassen Kleider aus, rubbelte ihn trocken und warm und zog ihm das dicke, angeraute Nachthemd an, das auf dem Stuhl lag. Er atmete ganz flach, war noch immer nicht bei Bewusstsein. Ich nahm seinen Kopf in meine Hände, streichelte seine Wangen, küsste ihn.
„Es tut mir leid, so leid. Das habe ich nicht gewollt“, wimmerte ich in einem fort. „Bitte verlass mich nicht, geh nicht von mir, mein Liebster! Ich wollte dich nicht umbringen, nein, ich wollte doch nur, dass du bei mir bleibst, für immer! Dass du nicht zu ihr fährst!“
Nein, ich habe es nicht getan, um ihn loszuwerden, wie jene Frau, von der er mir vor Jahren erzählt hatte, die ihren Mann zum Mönch machte, weil er ihr mit seiner aufdringlichen Liebe lästig wurde – ich wollte ihn behalten! Nie ist mir seine Liebe zuviel geworden.
Mit Schrecken fiel mir eine weitere Geschichte ein, die Bérenger mir eines gemütlichen Winterabends vorgelesen hatte, aus dem Testament des Templers. Da hatte es sich ebenfalls um Gift gehandelt, um die Spanische Fliege, gewonnen aus seltsamen oder seltenen Insekten. Schrecklicher Tod. Grauenvolle Leiche: geschwollene Lippen, die den aufgerissenen Mund umspannten, tief blau die aufgetrollte Zunge, die seitlich zum Mund heraushing.
Mord! Gift! Wie in der Geschichte, die seinerzeit der Comte de Larzac erzählt hatte, auf der Terrasse, als Emma so furchtbar betrunken war und sich in aller Öffentlichkeit an Bérenger herangemacht hatte. Dort hatte es sich um Stechapfel gehandelt. Auch darüber habe ich – wie über die Stechpalme - in jenem Buch der Gifte gelesen. „Vergiftungserscheinungen: ähnlich wie bei Tollkirschvergiftung. Unruhe und allgemeine Erregung, Rededrang, Weinkrämpfe, Euphorie, Halluzination ... Koma.
Ilex aquifolium jedoch ... Ich hatte nur ganze fünfzehn Beeren zerstampft, und für Kinder war als tödliche Dosis der Verzehr von bis zu dreißig Beeren angegeben. Dennoch war im Nachsatz gestanden: „Prognose ernst.“
Was war das? „Die Liebe eifert nicht ...“
Da schlug Bérenger plötzlich die Augen auf. „Was redest du da von umbringen?“ flüsterte er angestrengt.
Ich heulte auf. „Lieber Gott, ich danke dir! Du lebst, Bérenger, du lebst ! Der Tee hat dich nicht umgebracht! Ich bin schuld, dass es dir so schlechtgeht, ich ... ich habe nämlich etwas in den Tee getan, das dir Darmkoliken bereiten soll und heftigen Durchfall. Ich konnte es nicht ertragen, dass du zu Emma fährst, nach Argentinien. Und jetzt bist du so krank davon geworden! Wäre ich eine halbe Stunde später gekommen, wärst du sicher erfroren! Alles ist meine Schuld! Es tut mir so leid! Wie wirst du mich nun hassen!“
„Marie, Marie! Du dummes Ding“, sagte er nun ganz leise, so dass ich ihn kaum verstehen konnte. „Gib mir einen Schluck Wasser.“
Er trank nur ein winziges Schlückchen, gerade so viel, um die Lippen und die Zunge zu benetzen.
„Und nun sieh nach, Kleine, schau in die Kanne dort drüben – ich habe keinen einzigen Tropfen angerührt von deinem Hexengebräu. Ich habe auch keine Darmkoliken, keine Diarrhoe – es ist das Herz, das Herz! Es tut so schrecklich weh!“
Nach dieser für ihn fast übermenschlichen Anstrengung stöhnte er laut und fiel erneut in Ohnmacht.
Ich war erleichtert ...
Nein, das war ich nicht. Wenn es wirklich das Herz war, dann war sein Zustand höchst bedenklich, vielleicht viel, viel ernster, als wenn er den vermaledeiten Tee getrunken und drei Tage gemeinen Durchfall gehabt hätte.
Wie konnte ich ihm helfen? Mit Weißdorn? Arnika? Baldrian? Nein, erst musste die Diagnose gestellt werden. Zehnmal und mehr lief ich zum Fenster, weil ich mir eingebildet hatte, den Arzt bereits zu hören. Doch es dauerte und dauerte. So hoffte ich, bangte und betete. Dabei gingen mir die unvorstellbarsten Bilder durch den Kopf. Was, wenn Antoine des Eises wegen einen Unfall hatte, was, wenn er unten in der Schlucht lag, neben dem zerschellten Einspänner? Was, wenn Dr. Guilleaume verreist war? Was, wenn Bérenger ...
Die ersten Sonnenstrahlen brachen sich in den Butzenfenstern des Turmes, und Bérenger lag noch immer in einer tiefen Bewusstlosigkeit. Zwischenzeitlich hatte ich das Feuer im Kamin neu angefacht. Jetzt
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