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Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Marie ... : Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Luise Köppel
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auf den Sims seines Kamins und sah, bevor ich ging, Bérenger noch einen Augenblick zu, wie er – die gepackte Reisetasche zu Füßen – gewissenhaft seine goldene Taschenuhr putzte und sie dann umständlich aufzog.
    „Ist noch etwas, liebe Marie?“ hatte er gefragt, ohne aufzusehen.
    „Brauchst du einen Proviantkorb für die Reise?“ Mein Herz klopfte.
    Er schüttelte den Kopf, hielt die Uhr ans Ohr. „Nicht nötig, Marie, danke!“
    „Nun ... Soll ich mich gleich jetzt von dir verabschieden ... oder?“ Ich druckste herum.
    „Sei so nett, und weck mich morgen kurz vor Tagesanbruch, bereite mir ein leichtes Frühstück, zwei wachsweiche Eier vielleicht, danach haben wir noch ausreichend Zeit, adieu zu sagen. Mein Zug fährt ja erst um 10 Uhr.“
    „Na, dann gute Nacht.“ Noch immer zögerte ich zu gehen.
    „Gott befohlen, liebe Marie, Gott befohlen ...“

47
    „Es lächelt der Tod schon am Rande der Zeit ...“
    René Char , Divergence

    Wie in der Liebesgeschichte von Heloise und Abaelard hatte ich Bérenger weitaus mehr geliebt als er mich. Bis der Tag kühl wurde und die Schatten schwanden, war er mein Leben. Am Ende, als ich aus meiner tiefen Verzweiflung wieder zu mir kam, stellte ich mir mehr als einmal die Frage, was ich ihm in all den Jahren gewesen war. Hatte er nur meinen Körper geliebt und nicht zugleich meine Seele?

    Erneut machte ich kein Auge zu in dieser Nacht. Ganze fünfmal sprang ich aus dem Bett, starrte auf den Wecker, zog mich hastig an – bereit zu ihm zu eilen –, aber nach kurzem Zögern kleidete ich mich wieder aus.
    Das Schiff nach Argentinien würde ohne ihn abfahren, ganz sicher. Er würde stattdessen Stunden auf der Toilette verbringen, weil er ziemlich unangenehme Darmkrämpfe hatte. Und in der Zeit, die Bérenger abwarten musste, bis er wieder ganz gesund war – und vor allem, bis das nächste Schiff nach Argentinien fuhr, wir befanden uns ja noch immer im Kriegszustand – konnte so viel geschehen.
    Ich hegte in der Tat die nicht unberechtigte Hoffnung, dass er sich nach dieser gesundheitlichen Attacke eingestehen würde, dass ihm die Aufregung, die eine derart weite Reise mit sich brachte, in seinem Alter offenbar schadete. Schließlich ging er ja bereits auf die Fünfundsechzig zu. Und was eigentlich, würde er vielleicht (hoffentlich) denken, was suche ich bei einer anderen (bei Emma), was ich bei der Marie nicht längst hätte? Wenn sie mitunter auch ein wenig zu forsch auftritt, nun ja, so kocht sie doch recht gut, sieht man einmal von dem ekligen Kräutertee ab, den sie mir jeden Abend hinstellt, und natürlich von den Ginsterbüscheln, die sie heimlich Jahr für Jahr ins Dachfenster hängt, diese schwarzhaarige Hexe ...
    Die Stunden schlichen dahin.
    Obwohl ich bald selbst Durchfall bekam vor Aufregung, brachte ich es fertig, ein wenig einfältig vor mich hinzulächeln, als ich ihn vor meinem geistigen Auge bereits wieder genesen sah, im grünkarierten, warmen Morgenrock gemütlich und rundum zufrieden im Lehnstuhl sitzend, die Füße in der kleinen Zinnwanne badend – niemals würde Emma ihm solch herrliche Meersalz-Fußbäder zubereiten wie ich, da war ich mir ganz sicher! Ja, bestimmt würde er sich wieder mir – mir alleine – zuwenden, wenn die erste Zeit der Melancholie, der Trauer um den endgültigen Verzicht auf Emma vorüber wäre und sich seine Enttäuschung über seine schlechte oder schnell schwindende Kondition gelegt hätte. O ja ...
    Ob er bereits Schmerzen hat, Durchfall?

    Um fünf Uhr in der Früh sah ich das letzte Mal auf die Zeiger des Weckers. Kurz danach muss ich in einen tiefen Schlaf gefallen sein, aus dem mich die Glocke umbarmherzig eine halbe Stunde später wieder hochriss. Mit klopfendem Herzen zog ich mir meinen warmen Mantel über das Nachtgewand, band mir einen Schal um den Kopf und schlüpfte rasch in die gefütterten Winterstiefel. Mir war übel. Ich verließ die Villa und hastete den Berg hinauf, um nach Bérenger zu sehen. Ein Hund bellte. Wären die Wolkenfetzen nicht gewesen, die, vom kalten Wind getrieben, eilig von Ost nach West jagten, würde der Wintermond um diese Stunde den Turm in seiner ganzen Romantik beleuchtet haben. So aber fielen nur wenige Strahlen auf ihn, was den Turm Magdala altertümlich und verwunschen zugleich aussehen ließ. Wie konnte er es nur übers Herz bringen, ihn zu verlassen? Ihn – und mich?
    Weit entfernt hörte ich eine Eule. Was einem doch in wenigen Minuten so durch den Kopf gehen

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