Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Schwarze und das Weiße ...“
„Ja. Sie verachteten das Dunkle, das Irdische. Es war unrein für sie. Aus diesem Grund spülte auch jeder parfait seinen Teller, den er nebst einem Handtuch und einem Tischtuch aus feinem Leinen mit sich führte, ganze neun Mal, damit er auch wirklich rein sei. Die sprichwörtliche Reinheit der Katharer hatte jedoch ausschließlich mit ihrem Glauben zu tun. Körperpflege im heutigen Sinne war den Menschen im Mittelalter – natürlich auch denen, die katholischen Glaubens waren – nicht bekannt. Läuse waren weit verbreitet und rechte Plagegeister, so dass sich die Menschen bei jedem Treffen erst einmal gegenseitig entlausten.“
Ich schüttelte mich.
„Hatten die parfaits eigene Gemeinden?“
„Nein, einige schlossen sich zu klosterähnlichen Kleingruppen zusammen, dort wird es auch Theologen gegeben haben, die meisten aber zogen im Land umher, um den einfachen Leuten zur Hand zu gehen oder ihre Kinder zu unterrichten. Begegnete ein Gläubiger einem parfait auf seiner Wanderung, so musste er ihn mit einer bestimmten Ehrenbezeigung, dem melioramentum, begrüßen. Mit dieser Begrüßung tat er seinen Willen kund, auch einmal – und sei es in einem anderen Leben – ein katharischer parfait zu werden.“
„Ist der Wortlaut dieses melioramentums überliefert?“
„Ja, der Gläubige verbeugte sich tief vor dem Perfekten und sprach dreimal lateinisch: ´Benedicite, parcite nobis`, beim dritten Mal fügte er – oder sie, wenn es sich um eine Frau handelte – in der Landessprache, also in Okzitanisch, hinzu: ´Bittet Gott für mich Sünder, dass er mich zum guten Christen mache und zu einem guten Ende führe.`“
„Und was erwiderte darauf der parfait ?“
„´Gott sei gebeten, dass er Euch zum guten Christen mache!` Ich habe es erst kürzlich nachgelesen. Ja, die Menschen verehrten ihre Perfekten, wenn sie es auch manchmal zu weit trieben.“
„Was meinst du damit?“
„Nun, etliche ließen sich nicht von ihrer Überzeugung abbringen, dass die Vollendeten in der Lage wären, Blitze zu bannen. Der große Respekt, der einigen parfaits entgegengebracht wurde, hatte aber auch damit zu tun, dass manche von ihnen Träger der secretissimae , des geheimen Wissens der Katharer, waren.“
„Das geheime Wissen? Wussten sie denn tatsächlich Dinge, die heute keiner mehr weiß?“
Ich frohlockte innerlich, weil ich an meinen letzten Besuch in der Sakristei dachte. Dort hatte es geheißen:
„Die secretissimae der Katharer, von denen der Tempelritter spricht,
beinhalten offenbar mehr als ihre Bücher und Riten:
B. vermutet eines ihrer Verstecke in einer Höhle in der Nähe von RLC -
er beginnt jetzt mit den Vermessungen.
Ich habe da so eine Idee (die alten Goldgruben am Roc Nègre?)
... muss mit B. reden!“
Würde ich jetzt endlich etwas Näheres erfahren?
Doch Bérenger sah zur Decke hinauf und zupfte sich am Ohr. Dann lächelte er mich an und sagte: „Ganz sicher, Marie, ganz sicher. Sie kannten ihr Arkadien ... Übrigens behaupteten auch die Merowinger, ursprünglich aus Arkadien zu kommen.“
Danach war er aufgestanden, um mit Pomponet einen nächtlichen Spaziergang zu machen.
Ich war enttäuscht. Bérengers Aufzeichnungen zufolge suchte Boudet doch rings um Rennes nach diesem geheimnisvollen Ort und nicht etwa in Griechenland! Offensichtlicher ging es nicht: Bérenger behielt wichtige Erkenntnisse für sich, denn er hatte mir gegenüber die „Höhle in der Nähe von Rennes-le-Château“ mit keinem Wort erwähnt. Wie gut, dass die Marie so gerne alte Geschichten über die Katharer hört, nicht wahr?
Sein anfängliches Erstaunen über meine Frage nach Arkadien war dennoch vielsagend gewesen. Hoffets Zettel musste also eine Rolle spielen in dem Rätsel, da war ich mir sicher. Doch welche? Und was hatte Jesus damit zu schaffen?
Die Fragen verfolgten mich noch im Schlaf.
In den Monaten darauf hatte ich nur eine gute Gelegenheit, um in Bérengers Buch herumzuschnüffeln. „Noch immer kein Lebenszeichen von Didier Laforche“ hatte er geschrieben, und: „Ich bin beunruhigt.“
Eine Woche später stand das Buch nicht mehr an seinem Platz. Das beunruhigte nun mich über alle Maßen, denn das war zuvor nur der Fall gewesen, wenn er auf Reisen war.
An einem trüben Spätsommertag – in der Nacht hatte es ein heftiges Gewitter gegeben, und noch immer regnete es in Strömen – platzte dann Henriette mit einer Sache heraus, die mich erst recht misstrauisch
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