Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Zettel verbrannt, weil er ihn selbst für unsinnig hielt?
Ein wenig hatte ich Angst an diesem nebligen, fast unwirklichen Morgen nach dem Fest, als alles wieder ruhig war im Haus, dass Bérenger die Freundschaft dieser Menschen für größer erachten könnte, als sie in Wirklichkeit war.
Drei Wochen später verschwand Didier Laforche spurlos.
Nach und nach veränderte die Kirche ihr Erscheinungsbild. Bérenger wechselte innerhalb von neun Jahren – so lange dauerte die gesamte Ausgestaltung - ganze drei Mal die Handwerker, bis er zufrieden war. Italienische Meister waren es schließlich, die seinen ausgefallenen Ansprüchen genügten. Die Kirchenfenster weisen jetzt eine Besonderheit auf, die jedermann bei schönem Wetter am Tag der Wintersonnenwende beobachten kann: Genau zur Mittagsstunde dringen die tief vom Horizont kommenden Sonnenstrahlen durch die Fenstermotive und zeichnen auf der gegenüberliegenden Mauer einen Baum mit runden Früchten, die wie Äpfel aussehen. Während das zuerst unscharfe Bild klarer wird, indem es sich von links nach rechts bewegt, werden die Früchte zusehends reif, und alle werden rot, bis auf drei, die blau bleiben. Pommes bleu ...
Für meine Begriffe war die Kirche noch immer zu klein und zu gedrungen. Das aber sollte nach Bérengers Willen unbedingt so bleiben. Die Statuen der verschiedenen Heiligen, das Bas-Relief und das Giebelfeld wurden von Monsieur Giscard aus Toulouse ausgeführt und die Kirchenfenster von Monsieur Feur aus Bordeaux. Bei den Baumaßnahmen entdeckten Handwerker ein weiteres altes, wenngleich leeres Versteck zwischen dem Glockenturm und der Diele. Fachleute meinten, dass es im 8. Jahrhundert angelegt worden sein könnte und dadurch fand die Überzeugung der beiden Priester, Boudet und Saunière, eine weitere Bestätigung: Rennes-le-Château birgt mehr als ein Geheimnis.
Bérenger setzte seine Vorstellungen so entschlossen in die Tat um, dass der Gemeinderat gar nicht dazu kam, ihm Einhalt zu gebieten. Die Alten waren insgeheim froh, nicht selbst mit Hand anlegen zu müssen, und die Jüngeren freuten sich, dass die magere Gemeindekasse geschont wurde. „Der Abbé zahlt ja alles aus eigener Tasche! Was soll man ihm da reinreden“, brummten sie beschwichtigend, wenn Bauern aus den Dörfern ringsum ihnen vorhielten, dass sie all das duldeten. „Wo das Geld herkommt? Vom Schatz natürlich! Er muss doch einen gefunden haben, so wie die Sache aussieht. Und was, bitte schön, ist ihm wirklich vorzuwerfen? Nichts, gar nichts. Er ist schließlich Priester. Bislang sieht unsere Kirche doch recht passabel aus, verglichen mit ihrem früheren Zustand“, rechtfertigte sich der Rat, wenn er von verschiedenen Seiten in die Enge getrieben wurde.
Unter denen, die gegen uns hetzten, befanden sich vor allem jene eifernden Selbstgerechten, die man in jedem Ort findet. Der alte Adam Caclar, den man zum Bürgermeister gewählt hatte, war so einer, der keine Ruhe gab.
Die Caclars wähnten sich seit Jahren als die gottesfürchtigste Familie im ganzen Ort. Eigentlich waren es vier Familien, über Kreuz miteinander verwandt und verschwägert. Und alle lehnten – wie die Schullehrerin Therese – jeglichen Alkoholgenuss ab und hassten, gleich Vampiren, den Geruch von Knoblauch, was ja schon ein gewisses Licht auf ihre Einstellung zum Leben ganz allgemein wirft. Alkohol und Knoblauch - und liederliche Frauen, wobei sie natürlich an die Marie Dénarnaud dachten.
Über alle Maßen konservativ, stehen solche Menschen bekanntlich allen Neuerungen ablehnend gegenüber. Das war auch der Grund, weshalb sie hartnäckig Bérengers Bau- und Renovierungsarbeiten misstrauten und ständig nach seinen Motiven für die - zugegeben merkwürdige oder zumindest ungewöhnliche - Ausgestaltung der Kirche fragten.
Monsieur Caclar hatte aber außer den schon erwähnten Eigenschaften und Abneigungen (sowie einem falschen Gebiss) noch eine Unart: Er kam mit seiner Frau Gemahlin absichtlich zu spät in die Kirche, wobei sich der sonntägliche Auftritt meist folgendermaßen abspielte:
Alle warteten. Xavier, der älteste Sohn des Bauern Torkain, der ab und an das Harmonium spielt, musste niesen, weil es nach frischer Farbe roch. Etliche Leitern mit Resten von Malerweiß auf den Sprossen und halbverrostete Eimer standen, nur notdürftig zur Seite geschoben, neben dem Eingang zur Sakristei. Sie wurden noch immer gebraucht. Es wurde viel gehüstelt in der Kirche, des strengen Farbgeruches wegen oder aus
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