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Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Marie ... : Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Luise Köppel
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einer gewissen Nervosität heraus. Man räusperte sich. In den Männerreihen zog man umständlich die Taschenuhren, hielt sie ans Ohr, klopfte auf das Glas und verglich untereinander die Zeit. Madame Maury, die neben mir saß, begann zu seufzen und heftig mit dem Kopf zu wackeln. Die Frau vom Bauern Dalmas, sehr fromm, sehr bieder, kniete und betete leise den Rosenkranz. Der alte Talut, der wochentags gerne einen hebt, hustete und spuckte dann seinen Schleim umständlich in ein rotweiß-kariertes Taschentuch. Torkain riskierte einen heimlichen Blick auf meine Frisur. Ich fragte mich wieder einmal, woher das neugierige Bäuerlein das Geld hat, um sich drei neue Weinberge zu kaufen. Das ganze Dorf rätselte, nur Bérenger zuckte mit den Schultern. Henriette Nodier drehte sich nach mir um, dabei fiel versehentlich ihr Gebetbuch zu Boden. Ein empörter Seitenblick der Schwestern Raynod, die daraufhin mit Madame Mouline und Marguerite Salière eifrig zu tuscheln begannen. Die fromme Odile hielt sehnsüchtig Ausschau nach Bérenger.
    Ist Caclar noch immer nicht in Sicht, der alte Ziegenbock?
    Insgeheim nannte ich den Mann so, weil er mich an eines der Tiere auf Émilies Fabeltellern erinnerte: Eines Tages kam ein durstiger Ziegenbock an einen Bach, um zu trinken. Als er plötzlich sein Bild im Wasser sah, sprach er zu sich: „Ach, lieber Freund, wie wunderschön ist doch dein weißer Bart, wie groß sind deine Hörner (in diesem Fall der Zylinder). Mit deinem Aussehen brauchst du den dummen Wolf nicht mehr zu fürchten!“
    Aber noch während er so zu sich redete, hatte sich der Wolf bereits angeschlichen und packte den Ziegenbock entschlossen mit den Zähnen. Erschrocken änderte der Bock seinen Tonfall und flehte: „Hab doch Erbarmen mit mir, wir Ziegenböcke sind nun einmal eitel und reden oft Unsinn, wenn wir trinken!“ Der Wolf aber scherte sich einen feuchten Kehricht um die dumme Entschuldigung des Bockes und fraß ihn auf.
    An manchen Sonntagen - wenn sich die obligatorischen zehn Minuten unverschämt lange hinzogen – konnte man es im Gotteshaus zischen hören: Ein halblautes Tzs, tzs, tzs entwich den Bankreihen gleich heimlichen Winden, so dass sich Bérenger veranlasst sah, der Gemeinde Blicke zuzuwerfen. Das waren dann die Sonntage, an denen Antoine es schließlich wagte, am Glockenstrang zu ziehen, einmal nur und ganz zaghaft.
    Das Warten steigerte das Erwarten.
    Einzig der taubstumme Knecht Marais saß unbeeindruckt auf seinem Platz und schaute verzückt auf den Heiligen Josef, der links vom Altar steht, mit dem Jesuskind auf dem Arm. Dann wendete er den Blick feierlich nach rechts, der Mutter Gottes zu, die Josef gegenübersteht, ebenfalls ein Jesuskind auf dem Arm.
    Zwei Jesusgestalten, Zwillingskinder?
    Bérengers Werk. Boudets Idee, ich hatte es gelesen.
    Waren die Caclars schlussendlich doch im Anmarsch, was man einem bestimmten Nicken Antoines entnehmen konnte, wurden eifrig die Köpfe herumgerissen, die der Ungeduldigen wie die der Gelassenen, denn man wollte ja den Einmarsch der beiden um nichts auf der Welt versäumen: Caclar stiefelte für gewöhnlich rotgesichtig, unter kurzatmigem Keuchen, mit seinem dicken Bauch voraus, den Zylinder in der Rechten, und Madame – einen Kopf größer als ihr Gatte und äußerst hohlwangig – flatterte im hochgeschlossenen mausgrauen Paletot und mit ihrem Federhut ihm hinterdrein. Und wehe, die Kirchentür war schon geschlossen, ihre angestammten Plätze - erste Reihe rechts vom Mittelgang Monsieur und erste Reihe links vom Mittelgang Madame - waren nicht frei, oder Xavier hatte bereits begonnen, die ersten Akkorde zu spielen. Dann wurde gezischt und geschubst, die Stirn in Falten gelegt und die Lippen zu schmalen Strichen gepresst. Wer hat es dieses Mal gewagt? Die Sonntagsmesse hat anzufangen, wenn „Wir“ da sind und keinen Augenblick früher oder später! Nein, dieser Saunière hat entschieden keine rechte Ordnung und Aufsicht über seine Schäflein.
    Der sonntägliche Auftritt der beiden hatte es also in sich, was die Leute für kurze Zeit von mir, meinem Schmuck und meinen schönen Kleidern ablenkte, obwohl ich ohnehin meist provozierend brav, mit halbgesenktem Blick in meiner Bank saß. Beim Warten betrachtete ich intensiv das neue Relief unter dem Altar, das eine weinende vor einem Kreuz aus zwei Ästen kniende Maria Magdalena zeigt. Zwillingsästen, sagte Bérenger, ohne sich näher zu erklären. Wirklich merkwürdig die Art, wie sie ihre Finger

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