Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Rennes, allerdings jedes Mal unverhofft. Als ich eines Tages zufällig erfuhr, dass er für einige Wochen nach Paris fahren wollte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Seit Jahren war dieser Priester der Schatten, der sich zwischen Bérenger und mich schob, wann immer es ihm beliebte, und nun bildete ich mir ein, dass sich mit seinem Weggang alle Befürchtungen in Luft auflösen würden.
Bérenger schien von Boudets Reiseplänen ebenfalls erleichtert. Er gedachte, die Zeit von seiner Abwesenheit mit mir und seinen Büchern - in trauter Zweisamkeit sozusagen - zu genießen.
Kein Wunder, dass ich völlig verblüfft war, als er mich eines Sonntagabends beiseite nahm:
„Marie, ich muss nun doch noch einmal in den Berg. Gleich morgen bei Tagesanbruch will ich hinunter. Ich wollte es dir zuerst verheimlichen, damit du dich nicht ängstigst, aber ... na ja, man weiß nie, was geschieht. Ich könnte mir ja unterwegs ein Bein brechen. Zieh nicht gleich so besorgt die Stirn in Falten. Es geht schon alles in Ordnung.“
Wie kam es nur, dass vor meinem geistigen Auge zwei Männer die Höhle betraten: Saunière und Boudet?
„Nein, Bérenger, mach mir nichts vor. Es ist keineswegs alles in Ordnung. Denk an den armen Pomponet! Erst vor kurzem hast du gesagt, es wäre zu gefährlich, die Grotte aufzusuchen, und dass wir längst genug beiseite geschafft hätten.“
„Haben wir auch, Marie, haben wir ... aber – nun, ich habe vor zwei Tagen eine Nachricht erhalten. Eine bestimmte Person muss unbedingt ruhiggestellt werden, damit unsere Forschungen weitergehen können. Es bedarf einer außerordentlich großen Summe Geldes. Ich bitte dich, nicht schon wieder nachzufragen. Ich kann und darf dir keine Einzelheiten darüber erzählen.“
„Ich möchte nur wissen, ob die Sache mit dem Ort zu tun hat, den ihr seit Jahren sucht!“
Bérenger schwieg.
„Nun gut, schweig ruhig bis in den Tod hinein, nimm Billard in Schutz. Ihn meinst du doch mit dieser Person, nicht wahr?“
Bérenger schwieg weiter und vermied es, mich anzusehen.
Von seinem Verhalten ermutigt, fuhr ich fort: „Ich lasse dich nicht aus den Augen, Bérenger! Ich werde morgen früh mit dir kommen. Zwei Personen kann nicht so leicht etwas geschehen wie einer. Oder hast du dich mit jemandem verabredet dort unten?“
Er schüttelte heftig den Kopf. „Nein, nein. Was du immer denkst! Ich habe geschworen, dass niemand außer uns beiden von dem Versteck erfahren wird. Und dabei bleibt es. Nein, wirklich, Marie, deine Fürsorge ist rührend, aber ich gehe allein in der Früh, und du bleibst hier. Das ist sicherer! Niemand außer dir ahnt, dass ich es gleich morgen tun werde, Boudet nicht und schon gar nicht Billard, und so wird mir auch nichts geschehen. Das ist mein letztes Wort, Marie!“
„Und mein letztes Wort ist es, dass ich dich begleite! Wenn du wirklich ohne mich losgehst, so folge ich dir in kurzem Abstand wie ein geprügelter Hund, Bérenger. Du wirst es schon sehen! Mit meiner lauten Stimme schreie ich das ganze Land zusammen, wenn dich jemand überfällt!“
Bérenger konnte sich nicht entscheiden.
Seine größte Schwäche im Leben ist, dass es ihm an Härte fehlt. Er ist durchaus in der Lage, der jeweiligen Situation entsprechend, äußerst selbstbewusst und bestimmend aufzutreten. Steht man ihm aber nahe, so merkt man bald, dass Bérenger ein viel zu gutes Herz hat für diese Welt und ein weiches Gemüt, was ja nicht unbedingt schlechte Eigenschaften für einen Priester sind.
„Ich gehe mit. Das ist mein letztes Wort“, betonte ich noch einmal energisch.
Bérengers Augen flackerten unruhig, und auf seiner Stirn standen tief eingeprägt die Sorgenfalten. Er lachte kurz und fast verzweifelt auf und zuckte dann resigniert die Schultern.
„Du hast wirklich den größten Dickschädel auf der ganzen Welt, Marie! Also meinetwegen, komm mit und beschütze mich. Wir müssen aber bei völliger Dunkelheit losgehen und zuvor die Hunde beruhigen, damit niemand im Dorf etwas merkt. Sonst fängt das Gerede erneut an.“
Obgleich er tat, als ob es sich um einen kurzfristigen Entschluss handelte, hatte ich den Eindruck, dass Bérenger den Zeitpunkt dieser Aktion mit Bedacht gewählt hatte, denn unser treuer Antoine lag seit einigen Tagen wegen einer lästigen Darmfistel im Spital. Er wäre der einzige gewesen, der sich (zu Recht) gewundert hätte, warum wir nicht, wie seit langem üblich, das Pferd und den Gig benutzten, sondern wie in alten Tagen zu Fuß mit dem
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