Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
nicht aussuchen.
Émilie hatte mich in ihrem Testament als Alleinerbin eingesetzt. Der Notar von Esperaza, Monsieur Solaire, hatte das Schreiben verfasst und gesiegelt, das wir in ihrer Truhe obenauf fanden.
„Marie, willst du nicht deine Eltern heraufholen? Sie könnten in Émilies Häuschen wohnen, ganz in deiner Nähe, und in Ruhe alt werden“, fragte mich Bérenger, als ich nach der Beerdigung traurig auf den Stufen der Villa Béthania saß und zu Èmilies Häuschen hinübersah.
Ich zögerte.
„Hältst du das wirklich für eine gute Idee? Wie lange wird es dauern, bis sie von unserem Schatz erfahren – und, was noch schlimmer ist, von unserem Verhältnis?“
„Aber Marie, vom Schatz redet inzwischen die ganze Welt. Und was unsere Beziehung anbelangt ...“ Bérenger lachte verhalten. „Ich könnte mich noch heute ohrfeigen, dass ich dich in eine solch kompromittierende Situation gebracht habe, seinerzeit. Andererseits bin ich nicht der erste Priester, und du wirst nicht die letzte Frau sein, die eine derartige Liebschaft eingehen. Viele Leute haben durchaus Verständnis für derlei.“
„Das bezweifle ich stark. Wenn ich den Eltern Geld zustecke, sieht mich Mutter jedes Mal ein wenig seltsam an. Zuweilen fragt sie leise: ´Es ist doch kein unrechtes Geld, Marie, oder?`
Ach, im Grunde sind sie noch immer das, was sie zeitlebens waren: redlich, gutgläubig, arbeitsam. Wie soll ich mich vor ihnen verbergen, wenn sie in unserer Nähe leben?“
„Marie, du siehst deine Eltern in einem verklärten Licht. Ist es vielleicht redlich, von dir Geld zu nehmen, ohne zu wissen, woher es stammt? Deine Eltern wollen dich so sehen, wie du in ihr Weltbild passt - somit existierst du nur in ihrer Wunschvorstellung. Aber du bist eine erwachsene Frau und höchst lebendig. Steh endlich zu deinem Leben!“
„Steh dazu, sagst du zu mir? Ausgerechnet du, der du dem alten Caclar erst kürzlich einen gewaltigen Bären aufgebunden hast?“
„Was meinst du? Sprich nicht immer in Andeutungen, das macht mich wahnsinnig!“
„Nun, stimmt es etwa nicht, dass du ihm dieselbe Geschichte erzählt hast wie Jean, nämlich, dass mich etwas gestochen hätte im Kornfeld und dass es deine Christenpflicht gewesen sei, mir beizustehen? Über diese Version lacht bereits das ganze Dorf!“
Bérenger lachte verlegen. Kleine, runde Schweißperlen erschienen auf seiner Oberlippe. „Wer hat dir denn das erzählt?“
„Das tut nichts zur Sache.“
„Na komm, Marie. Es war Henriette, nicht wahr?“
Ich nickte.
„Vergiss endlich die dumme Geschichte.“
Ich starrte auf meine Hände, um Bérenger die Tränen nicht sehen zu lassen, die mir in den Augen standen.
Die Eltern waren hocherfreut, in die Nähe ihrer einzigen Tochter ziehen zu können, um im Alter die Stütze zu bekommen, die sie sich nach ihrer Vorstellung redlich verdient hatten. Auch Barthélémy war der Meinung gewesen, dass die beiden bei mir am besten aufgehoben wären. Sehr bequem, diese Einstellung. Marie ist in der Nähe, Marie kümmert sich. Schande und Schmach, auch wenn es herzlos klingt: Ich hatte Magenschmerzen, als ich hinunterging, um ihre wenigen Habseligkeiten zu packen. Während Vater, nervös von einem Bein auf das andere tretend, auf den Wagen des Dorfschreibers gewartet hat, um mit dem tumben Jean zusammen die Kisten nach Rennes zu schaffen, bin ich mit Mutter zur Schneiderin gelaufen. Gegen ihren erbitterten Widerstand habe ich ihr zwei dunkle Kleider für den Sonntag, ein schwarzes und ein blaues, einen warmen Mantel und mehrere einfache, aber ordentliche Kleider für den Alltag anmessen lassen. Danach haben wir die Trussaut aufgesucht, um Hüte zu kaufen, was mir nicht leichtgefallen ist, weil ich ihren Laden nie mehr hatte betreten wollen. Wie hätte es jedoch ausgesehen, wenn Mutter mit ihren alten, schäbigen Sachen und ihrem Kopftuch neben mir gesessen hätte in der Kirche. An neuerlichem Klatsch war mir nicht gelegen.
Die Trussaut hatte mit amüsiertem Lächeln hinter der Ladentheke gestanden. „Na, Marie“, hatte sie süffisant geflötet, „dich habe ich ja eine Ewigkeit nicht gesehen. Wo pflegst du eigentlich deine ausgefallenen Hüte zu kaufen? In Paris etwa? Die Leute erzählen sich ja manches über dich! O lá, lá!“
„Ja, tun sie das?“ Ich gab mir alle Mühe, ein geheimnisvoll hochnäsiges Lächeln in mein Antlitz zu zaubern. In Windeseile suchte ich drei ordentliche Hüte für Mutter aus, bezahlte sie bar und ließ sie von
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