Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Marie ... : Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Luise Köppel
Vom Netzwerk:
die Wunden der Ungerechtigkeit zu legen. In diesem Zusammenhang darf natürlich Victor Hugo nicht vergessen werden – er ist schon einige Jahre tot –, der in seinem Roman Les Miserables die sozialen Missstände unseres Landes heftig angeprangert hat. Auch er war Freidenker.“
    „Und wogegen sind die Freidenker noch?“
    Doch Bérenger wollte einfach nicht auf den Punkt kommen. Weitschweifig erzählte er mir, dass sie antimilitaristisch und antikapitalistisch, vor allem aber antiklerikal und antireligiös wären. Sie verurteilten jegliche Einmischung der Kirche in die bürgerliche Gesellschaft und kämpften für die Trennung von Staat und Kirche. „Der Pfaffe in der Kirche – der Lehrer in der Schule!“ So wäre ihre Einstellung. Letzteres sei natürlich bedenklich für die Kirche, darüber würde noch gestritten werden müssen. In einem Punkt jedoch stimme er ihnen ohne Wenn und Aber zu: Die freie Äußerung von Meinungen und Gedanken sei eines der kostbarsten Menschenrechte!
    „Wie die Gleichheit von Mann und Frau!“ hatte ich entgegnet.
    Bérenger hatte gelacht. „Da hast du vollkommen recht, Marie! Marsch in die Küche, mach mir einen Kaffee!“

    In all den Jahren in Rennes-le-Château hatte ich aber wenig Zeit, mich lange mit politischen Problemen auseinanderzusetzen, endlos über Bérengers Notizen zu grübeln oder mich in Sentimentalitäten zu verlieren. Immer gab es etwas zu tun und vorzubereiten. Beispielsweise die Hochzeit von Giselle. Louise – wir hatten uns längst versöhnt - hatte mir das junge Ding, ihre Nichte, quasi als Abschiedsgeschenk ans Herz gelegt, als sie Hals über Kopf mit ihrem Mann und den Mädchen nach Béziers zog, wo José versuchte, in einem „erstklassigen Arbeitsverhältnis“ Fuß zu fassen. Er war in dieser Hinsicht bislang wenig erfolgreich gewesen.
    „Ich mache Karriere“, hatte mir José beim Abschied im Brustton der Überzeugung zugeraunt, was mich allerdings auf der Stelle skeptisch werden ließ. Ich bedauerte Louise, wie sie schmal und blass und irgendwie verhärmt inmitten zahlreicher Gepäckstücke auf dem Perron stand. Man sah ihr an, wie ungern sie Couiza verließ, wenn sie auch ständig das Gegenteil beteuerte. Es war ein tränenreicher Abschied gewesen, und nur die Jüngste hatte andauernd an ihrer Mutter gezerrt, um sie endlich in den Waggon zu bugsieren, der dem großen Abenteuer entgegenfahren sollte.
    Und nun musste ich mich um Giselle kümmern, deren Eltern vor Jahren bei einem furchtbaren Zugunglück kurz vor Lyon ums Leben gekommen waren.
    Im Laufe der Zeit bin ich ihr – so denke ich wenigstens - zu einer mütterlichen Freundin geworden. Wochentags war das junge Mädchen gut versorgt, es hatte Kost und Logis bei der netten Schneiderin, Madame Pascal, bei der es in die Lehre ging. An den Wochenenden aber habe ich Giselle oft heraufkommen lassen, und hier oben hat sie eines Tages einen tüchtigen Arbeiter kennengelernt, der bei Elias Bot, dem Bauunternehmer aus Couiza, in Diensten stand. Man konnte direkt zusehen, wie sich die beiden ineinander verliebten. Die Hochzeit sollte natürlich bei uns auf dem Berg stattfinden, und wir hatten selbstredend auch Louise und ihre Familie eingeladen.
    Aber nun war ein seltsamer Brief von Louise eingetroffen.
    „Liebe Marie! Natürlich wünschen wir Giselle alles erdenklich Gute“, stand dort geschrieben, „und wir werden ihr zu ihrem großen Tag persönlich schreiben. Es ist uns jedoch völlig unmöglich, der Hochzeit beizuwohnen. Die Geschäfte meines Mannes haben sich recht gut entwickelt, dennoch sind wir zu diesem Zeitpunkt absolut unabkömmlich. Es tut mir schrecklich leid ...“
    Es tut mir schrecklich leid ...
    Sofort schoss es mir durch den Kopf: Louise hat kein Geld für die Reise.
    Ihr das Fahrgeld und ein wenig darüber hinaus zu schicken, damit sie sich neu einkleiden und Giselle ein schönes Geschenk kaufen konnte, wäre mir ein leichtes gewesen. Aber es stand da etwas zwischen den Zeilen, das mich zurückhielt. Beunruhigt zeigte ich zwei Tage später Bérenger den Brief.
    „Ich kann dir sagen, was es ist, das dich an diesen Zeilen so stört, Marie“, sagte er und wedelte mit dem Brief in meine Richtung.
    „Du bist eine Frau, die immer offen ausspricht, was sie denkt. Oftmals handelst du sogar ohne alle Überlegung. Aber du hast auch eine besondere Gabe. Du spürst instinktiv, wie es um dein Gegenüber bestellt ist.“
    „Mag schon sein, aber was hat das mit Louise zu tun?“
    „Louise hat

Weitere Kostenlose Bücher