Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
steil hinabging. Bérenger gönnte mir jedoch keine Atempause. Er schob mich auf einen großen Wacholderbusch zu, der, o Wunder, fast gänzlich einen Felsspalt zugewuchert hatte. Dorthinein schubste er mich und zwängte sich dann daneben.
Ich atmete hörbar und schlug, weil der Fels um uns herum fürs erste Schutz und Geborgenheit versprach, ein Kreuz nach dem anderen. „Heilige Maria, Mutter Gottes ...“
„Sei still“, flüsterte Bérenger. Wir kauerten uns auf den Boden. Es war unangenehm feucht. Eine tödliche Stille umgab uns, durchbrochen einzig von einer immer wiederkehrenden Kakophonie Tausender Grillen, die sich in den trockenen Büschen aufhielten, die rings um unser Versteck aus dem sonnendurchglühten Fels der Schlucht wucherten.
Und führe uns nicht ...
Plötzlich hörten wir ihn. Er fluchte. Dann ging alles sehr schnell. Der Mann musste über die gleiche Wurzel gestolpert sein wie ich. Er hatte jedoch niemanden an seiner Seite, der ihn stützen oder zurückhalten konnte, und so rutschte er wohl, das Fernrohr noch immer in den Händen, ein Stück den Steilhang hinunter, schlitterte dann - ohne eine Chance, sich an irgendeinem Busch festklammern zu können - weiter und weiter. Wir hörten, wie er mit einem satanischen Brüllen auf unsere Plattform zuraste, die ihm wie eine rettende Insel vorkommen musste in der Lawine von Geröll und Steinen, die ihn begleitete. Er war aber offenbar derartig in Fahrt geraten, dass er sich nicht mehr bremsen konnte. Durch den Wacholderbusch hindurch sahen wir ihn fliegen. Wie ein ausgestopfter Balg sauste er in einem wahrlich höllischen Tempo vor unseren Augen in die Tiefe. Er schrie unmenschlich. Ich hielt mir zitternd die Ohren zu. Als es endlich still war, nur die Grillen erneut einsetzten, klammerte ich mich an Bérenger und schluchzte minutenlang. Dann fuhr ich hoch und übergab ich mich in der hintersten Ecke unseres Versteckes.
Er war jung gewesen, unser Verfolger. Jung, mit schwarzem Haar und schlankem, wohlgebautem Körper. Trotz des entsetzten Ausdruckes im Angesicht des unausweichlichen Todes hatten wir ihn erkannt, den Mann, der da an uns vorbeigeflogen war.
Es war Didier Laforche gewesen.
Bérenger saß wie versteinert am Rande der Plattform, um in die Tiefe zu starren. Stunde um Stunde. Schuld? Eines steht fest: Es hatte keinen Augenblick des Zögerns gegeben in Bérengers Plan. Wie hätte er aber ahnen können, dass es sich ausgerechnet um Didier Laforche handelte? Und: Wer wagt es, den ersten Stein zu werfen?
Bevor die Sonne sich gänzlich nach Westen neigte, schüttelte ich ihn. Er sah mich an, als wäre ich eine völlig Fremde für ihn.
„Lass uns gehen, Bérenger!“ sagte ich leise, aber eindringlich. „Keiner kann etwas ändern an dem, was geschehen ist.“
Er nickte wortlos. Wir teilten uns das Brot, den Käse, die Äpfel, kauten langsam, um wieder Kräfte zu sammeln, und tranken Wasser. Dann machten wir uns auf den Weg hinab.
Mitten in der Nacht kamen wir unbehelligt, aber völlig erschöpft im Schein unserer kleinen Laterne am Hohlweg an. Noch immer stumm, versuchte Bérenger sein Glück und fand auf Anhieb den Eingang zur Höhle. Wir zündeten zwei der dort deponierten Laternen an und stiegen hinauf, obwohl wir eigentlich keine Kraft mehr in uns spürten. Diesmal brachten das Gold und die Juwelen unsere Augen nicht zum Glänzen. Der Ritter hinderte uns nicht an unserem Tun noch der Helfer. Die Magie war aufgehoben in dieser Nacht des Schreckens.
Vier lange Stunden brauchten wir, um mit unserer Last zur Villa Béthania hinaufzusteigen. Der Rucksack und der Korb waren schwer, und die müden Beine zitterten noch, als wir oben angelangt waren. Unsere Herzen waren schwarz wie die mondlose Nacht.
Niemand sang ein Lied.
26
„Statt Satan zu bezwingen, ist es leichter,
sich vor ihm zu hüten ...“
Paul Claudel , Hymne de Saint-Benoit
Das aufreizende Zurschaustellen unseres Reichtums hatte ein Menschenleben gefordert.
Die unguten Gedanken, die heimlichen Vorwürfe wollten nicht aufhören. Am Ende quälend schlafloser Nächte fiel ich in wilde Träume. Bérenger hingegen baute um sich Wälle aus Schweigen. Beide machten wir die schmerzhafte Erfahrung, dass das Lebensgefüge eines Menschen äußerst zerbrechlich ist.
Wie viele Menschenleben hatte wohl das Geheimnis von Rennes-le-Château in all den Jahrhunderten bereits gekostet? Ich hatte in Monsieur Caprières Büchern und in Bérengers Tagebuch über die grausame Verfolgung der
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