Marienplatz de Compostela (German Edition)
zuletzt vor mehreren Monaten zusammengekommen und er konnte überhaupt nichts sagen. Er war für eine Firma längere Zeit im Ausland gewesen, was noch überprüft werden musste, aber insgesamt kam wenig Information bei dem Treffen auf. Wenigstens die Kontaktdaten einiger Freundinnen waren herausgesprungen.
»Und du …«, wendete sich Hartmann an Bucher, »… du fährst jetzt wirklich nach Frongreisch?«
»Ja, genau das werde ich tun.«
»Was willst du dort? Es ist hier schon schwierig eine Spur aufzunehmen. Glaubst du, da unten jemanden zu finden, der sie erkennt, wenn du Fotos von ihr rumzeigst? Und wo willst du da anfangen?«
»Hat schon das ein oder andere Mal geholfen, die Nummer mit dem Foto, oder?«
»Was hast du genau vor?«
»Ich werde rund um Orléans alle Pilgerherbergen, Pensionen und Campingplätze abklappern, Läden und Postämter, Bahnhöfe und Busstationen.«
Hartmann knurrte. »Ach so. Das internationale Ermittlungsersuchen ist draußen und du bist sozusagen vorauseilender Ermittler.«
»Genau so.«
Hartmann schüttelte resigniert den Kopf. »Es gibt keinen Hinweis, einfach nichts, was nur annähernd nach Spur riecht. Anne Blohm war eine junge, attraktive Frau, intelligent, erfolgreich im Job, hatte ein ganz normales Umfeld – eine behütende Familie, ätzende Kollegen und sie hat sich auf eine Pilgerreise begeben, so wie andere eine längere Reise unternehmen. So! Völlig unauffälliges Leben – geordnet, sortiert, fast ein wenig langweilig, wie es Tausende andere Leben auch sind.«
»Aber dieses Leben ist verschwunden, Alex, und das macht es mit einem Mal so besonders.«
Keiner verspürte Lust zu diskutieren, denn es gab nichts, worüber man hätte streiten können. Die Runde löste sich auf und alle schleppten eine andere Form von Resignation mit sich.
Bucher hatte dieses emotionelle Tal gespürt und es unterlassen, auf die zwei Akten hinzuweisen, die ihm aufgefallen waren. Es ging um eine Kara Schieg und eine Nora Bender. Ihre Fälle waren ihm in der Liste von Vermisstenfällen aufgefallen. Es war jetzt nicht der rechte Zeitpunkt über diese zwei Fälle zu reden. Er musste sie noch gründlicher recherchieren.
*
An diesem Sommerabend fuhr er mit einem Kopf voller Gedanken an Frankreich aus München hinaus. Kein Biergarten konnte ihn locken, nicht Flaucher, nicht Augustiner oder Hirschgarten. Zu viele Menschen, zu ausgelassene Stimmung.
Hinter Gilching und Germering stand die Sonne tief und immer noch voller Kraft. Ihr Schein zauberte einen flirrenden Schleier auf den Belag der A96. Der Wechsel aus grünen Weideflächen, Wäldern und weitem Ackerland verfloss zu einem impressionistischen Cocktail und bald sah er sich auf einsamen, französischen Autobahnen in Richtung Süden fahren, ließ Troyes und Sens hinter sich, wendete vor dem Moloch Paris ganz in Richtung Süden, passierte Montargis und das hässliche Städtchen Pithiviers, mit seinen grandiosen Gärten, in denen jetzt im Juni die alten Rosen ihre Pracht entfalteten. Mit seinen Eltern war er vor unermesslich vielen Jahren dort gewesen und hatte sich widerwillig durch gepflegte Rabatten und blühende Bögen geschleppt.
Er dachte an die Loire, an alte Fischerboote, die am Ufer dümpelten und Wasser fingen; an die Sommertage auf einer der freigeschwemmten Sandinseln bei La Chârité-sur-Loire. Das hatte ihn damals weit mehr interessiert, als das Schloss von Blois mit der zentralen Wendeltreppe, oder die Apokalypse von Angers, oder die unzählbaren Kirchen, die seine Mutter andächtig betreten hatte. Er lächelte bei der Erinnerung an diesen französischen Sommer voller Wärme, den sie einmal nicht am Meer verbracht waren, wie es sich eigentlich gehört hätte. Seine Erinnerungen zogen weiter, die Loire hinab. Ein Fluss, dessen Bedeutung in allem größer war als es der wohlklingende Name vermitteln konnte. Im Süden duckte sich die Sologne in den weiten Arm der Loire. Er spürte den holprigen Asphalt schmaler Landstraßen, sah hohes Gras über den brüchigen Teer hängen, an manchen Stellen noch die Aufschriften und Grüße der letzten Tour de France. Ja, die Sologne. Jagdland seit Menschengedenken, wo lang gestreckte, niedrige Landhäuser Schatten suchten und auf jeder Lichtung ein Weiher ruhte. Eine Tante lebte noch dort, in einem Häuschen am Waldrand, mit riesigem Garten und Teich. An die Mücken hatte er sich nie gewöhnen können.
Er erschrak, als er vor dem Haus angelangt war. Wie hatte er die vielen Kilometer von
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