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Marienplatz de Compostela (German Edition)

Marienplatz de Compostela (German Edition)

Titel: Marienplatz de Compostela (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Soedher
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über den Zorn, den er in sich spürte, dieses Zittern und Beben, das äußerlich nicht zu erfassen war, und welches ihn doch ganz und gar erfüllte. Er blickte böse zu der Gestalt hinüber, zu diesem Menschen, der so gar nichts von ihm hatte. Der kahl rasierte Schädel mit den dunklen Stoppeln, die silbernen Ringe in Augenbrauen, Ohren und Lippen, dazu die schäbige Kleidung – Turnschuhe, Jeans, T-Shirt –, alles schmuddelig. Er haftete seine Augen an den provozierende Blick, der ihn traf.
    Wie war er stolz gewesen, damals, als er dieses Kind, diesen Sohn, zum ersten Mal in den Händen gewiegt hatte. Damals war auch ein Zittern und Beben in seinem Leib zu spüren gewesen: der Stolz, eine Zukunft in Händen zu halten, die eigene Zukunft. Das pure Glück.
    Was war daraus geworden? Siebl musste schlucken und schmeckte einen schalen Geschmack. Als er atmete, wurde ein lautes Schluchzen hörbar.
    »Ist Mam nicht da?«, klang die Stimme rau und unfreundlich. Eine Tasche, die wie ein Sack über seiner Schulter hing, flog mit einer widerborstigen Bewegung auf den Parkettboden neben der Türe. Tobias Siebl schaute an seinem Vater vorbei.
    Wie jämmerlich der aussah, in seinem dunkelgrauen Anzug, dem hellen Hemd und den grauen Haaren, die er trug wie eine Königskrone und die ovale Armanibrille auf der Nase.
    Siebl nahm einen kleinen Schluck Whiskey, um das Schale und Bittere mit noch Bittererem wegzuspülen. Danach knallte er das Glas mit lautem Klirren auf den Beistelltisch. Er hielt es aber weiter in der Hand und ließ es nicht los.
    Drüben, wo sein Sohn stand, schimmerte mit einem Mal die sportliche Gestalt von Anne Blohm. Fast hätte er die Hand an die Stirn gelegt, um besser sehen zu können, und wusste doch, dass ihm sein Hirn etwas vorgaukelte – eine Fata Morgana, die Frische verhieß, in der Lebenswüste seines Heims. Er lachte bitter auf, was wie ein Husten klang. Da drüben stand sein Sohn, der so gar nichts hatte, was einen Vater wie er es war bestätigen konnte. Das Versagen warf einen Schatten auf das eigene Leben, stellte die eigene Lebensleistung infrage, isolierte ihn. Seit Langem ging er nicht mehr zu Veranstaltungen, zu Treffen, wo er auf Leute traf, die von ihren Söhnen erzählten, die sonst was machten, studierten, Kinder zeugten, heirateten. Siebl schnaufte und sein gepresster Atem ließ ein abstoßendes Geräusch entstehen.
    Mit zwei langen Schritten trat er hinter der Couch hervor. »Anne Blohm ist verschwunden«, sagte er drohend und mit leiser Stimme, so als ob noch jemand im Haus wäre, der nicht hören durfte, was er da sprach.
    Tobi Siebl grinste ihn fies an und ließ seiner Häme freien Lauf. »Du scheinst ein Problem mit Frauen zu haben. Alle laufen davon.«
    Siebl vollzog die Schritte langsam, doch mit einer wilden Entschlossenheit im Blick, wie dies sein Sohn noch niemals erlebt hatte. Es lähmte ihn, obwohl er erkannte, welche Besessenheit ihn gleich erreichen würde. Sein Grinsen war einem erschreckten, fragenden Blick gewichen. Er starrte auf das Whiskeyglas in der Hand seines Vaters.
    Der schrie jetzt. »Was … hast du mit ihr gemacht!?« Die zwei letzten Schritte beschleunigte er und mit wilder Wut schlug er zur. Das Glas flog an die Wand und hinterließ einen hässlichen Fleck. Der Schlag hatte seinen Sohn gegen den Türrahmen gedrückt. Noch immer überraschte ihn der Angriff. Damit hatte er nicht gerechnet. Reden, Gespräche, Therapien – das waren die Methoden seines Vaters –, aber doch nicht Zuwendung.
    Rudolf Siebl hatte der erste Schlag jede weitere Hemmung genommen. Er spürte wieder das Brennen unter dem Brustbein, doch es machte ihm diesmal keine Angst, sondern beförderte die gewalttätige Lust auf Entladung. Jetzt war der Augenblick gekommen, um Vergeltung zu üben, für die erlittenen Enttäuschungen und Verletzungen, für seine ohne Lohn gebliebenen Bemühungen als Ehemann, als Vater, als Mann.
    Er schrie, doch die Wut und der Atem, den er brauchte, weil er wie verrückt um sich schlug, ließ nur ein raues, bösartiges Röcheln entstehen. Speichel flog ihm von den Lippen, und er spürte, wie er sich immer weiter von dem Rudolf Siebl entfernte – diesem arrivierten, vornehmen, in dunkelgraue Anzüge gekleideten Mann mit silbergrauem Haar, der die Geschicke einer sozialen Einrichtung lenkte. »Was hast du mit ihr gemacht!?«, spuckte er hervor, und seine Fäuste trommelten auf diesen Versager ein, der untätig an der Wand stand, sich duckte, die Hände zum

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