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Marienplatz de Compostela (German Edition)

Marienplatz de Compostela (German Edition)

Titel: Marienplatz de Compostela (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Soedher
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Berge zu ahnen.
    Er wendete den Blick kurz zur Seite, wo seit Kurzem ein großflächiges Ölgemälde die Wand über dem dunkelbraunen Sideboard füllte. Das Motiv zeigte einen Wiesengrund, Wäldchen, die sich am Horizont verloren. Kirchturmspitzen und rote Hausdächer waren nur angedeutet. Im Vordergrund stand ein Ochsengespann mit beladenem Heuwagen. Bauern rechten Heu zusammen. Es widerte ihn an, diese Ölromantik. Eines seiner Bilder hatte da gehangen, eines mit kräftigen Farben, mit Dynamik, Kraft und klaren geometrischen Formen.
    Sie hatte gesagt, es wirke obszön auf sie, und kalt und roh. Eines Tages war es im Keller verschwunden.
    Wozu brauchte man solche Landschaftsbilder von Heuernten und weidenden Kühen und sommerlichem Blau am Himmel, wenn einem der Blick aus dem Fenster genau das als Realität bot? Es war Bösartigkeit; die pure Bösartigkeit. Zu diesem Schluss war er gekommen.
    Sie hatte derweil einige Bücher hervorgezogen, betrachtet, oberflächlich durchgeblättert und wieder zurückgestellt. Sie sagte laut: »Ich möchte nicht, dass du morgen ebenso unerwartet früh hier erscheinst wie heute. Ich werde schon am Vormittag wieder sein – und nicht alleine. Nach siebzehn Uhr kannst du kommen. Es wird ja wohl genügend Arbeit geben da in eurer Firma, wo ihr alles für die Rettung dieser unserer unsolidarischen Gesellschaft tut.«
    »Ich bin hier zu Hause«, bemerkte er ohne Emotion in der Stimme. Er hatte es in Richtung der Weidelandschaft gesprochen.
    »Du wohnst hier!«, stellte sie klar.
    Er schwieg. Sollte er ihr erzählen, dass Tobi heute Abend kommen würde, dass er ihn herbestellt hatte? Nein. Er schielte hinüber, wo sie stand. Groß und schön und stolz. Jede ihrer Bewegungen schien überlegt zu sein. Konnte sie überhaupt einfach so herumstehen? Siebl zwang sich wegzusehen. Gleich wo und wie sie saß oder stand – immer hatte ihre Haltung die Anmutung einer Pose.
    Wieder spürte er die Unruhe, den Ärger in sich.
    Die Liebe zu ihr hatte er irgendwann von sich gestoßen, wie ein Ding, das einfach nicht mehr gebraucht wird und einem nur noch im Wege ist.
    Ihr musste es gleich gegangen sein.
    Er versank wieder in seinem Blick und die Zeit floss einfach so dahin. Später hörte er, wie sie mit ihrem Auto davonfuhr, an einen ihm unbekannten Ort, wo sie vielleicht jemanden traf, aber er interessierte sich nicht für den Ort und nicht für diese Person und nicht mehr für seine Frau. Ihr reichte der Blick aus dem Fenster nicht – der hatte ihr niemals gereicht. Immerzu diese Gesellschaft, das Gerede, die Diskussionen, Konzerte und Wichtigtuereien. Es kotzte ihn an. Einmal hatte er es auf so einer Gesellschaft laut gesagt, weil er zuvor getrunken hatte und nicht mit diesen Typen reden konnte, keinen Zugang zu diesen Leuten dort fand und wieder einmal herumgestanden hatte, als gehöre er nicht dazu. Und das hatte ihn rasend gemacht, die Erkenntnis, dass es genau so war: Er gehörte nicht dazu. Dabei wollte er nur seine Ruhe, aus dem Fenster schauen und an nichts denken müssen, mit niemandem reden müssen. Sie hätte sich doch zu ihm setzen können. Hätte sie doch.
    Es wurde dämmrig. Er spürte den Schmerz unter den Rippen, ein ständiges Brennen und Stechen, das bis hinauf in die Schulter zog. Mühsam hob er sich aus dem Sofa, schleppte sich nach oben ins Badezimmer, holte zwei Tabletten aus dem Spiegelschrank und schluckte sie mit einem Schluck Wasser aus der hohlen Hand.
    Mit Anne Blohm hätte er sich vorstellen können neu anzufangen. Mit ihr schon. Sie war eine Frau, die gut hätte dasitzen und aus dem Fenster sehen können, stundenlang. Sie strahlte Energie und Kraft aus und dennoch Ruhe. Das machte sie so souverän – und gefährlich für ihn.
    Er wurde wieder unruhig, trotz der Tabletten. Sie brauchten eine Weile, bis sie wirkten.
    Das grelle Leuchten moderner Autoscheinwerfer schlug durch die Fenster ins unbeleuchtete Haus, eine Autotür schepperte blechern.
    Billige Kiste, dachte Siebl.
    Der Motor drehte jaulend hoch und wieder blitzten die Lichtreflexe auf.
    Tobi kam also wirklich nach Hause. Siebl wartete im Wohnzimmer hinter der Couch. Hinter ihm waren nur noch Schatten übrig geblieben von den Hügeln und Bäumen und Senken und Höhen. Kühe waren nicht mehr zu sehen.
    Er hielt ein schweres Glas in der Hand. Whiskey. Laphraoig. Er mochte den Duft von Karbol. Viele sagten, es röche nach Zahnarzt und alten Hauseingängen.
    Als sein Sohn im Wohnzimmer erschien, erschrak Siebl

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