Marienplatz de Compostela (German Edition)
bemerkte er, wie ihn einer der Jungen anstarrte, so als käme er von einem anderen Stern, und er fragte sich, welche Story gerade wieder die Runde machte.
Alfons Zenner selbst erzählte keine Geschichten. Er war schweigsam, sah meistens streng drein, was ihm mit seinem braunen, ledergegerbten Gesicht nicht schwerfiel. Die Falten, die vom Mund aus schräg über das Gesicht strichen, waren so tief und dunkel, dass man sie gut für Narben halten konnte. Seine Person vermittelte Sicherheit und die Schweigsamkeit machte ihn zu einem, mit dem man gerne unterwegs war – in der Nacht.
Er schaute an der Aral-Tankstelle am Grünwaldpark vorbei und holte ein Eis, wie immer vor Mitternacht, wenn italienische Temperaturen das Gefühl von Süden und Freiheit und Lust in die Stadt brachten. Die junge Kollegin war müde vom Frühdienst, weil sie mittags nicht geschlafen hatte, so wie er es ihr seit Monaten predigte. Sie hatte es wieder vorgezogen an der Isar in der Sonne zu liegen, um ihren Körper Typen bebalzen zu lassen. Beides ermüdete.
Alfons Zenner kam damit zurecht. Es störte ihn auch nicht, wenn sie schnarchte, solange sie den Kopf nicht an die Seitenscheibe hing, was einen schlechten Eindruck machte. Das gehörte auch dazu – richtig schlafen können. Er hatte es ihr beigebracht.
In der Tankstelle wurde die Abrechnung gemacht. Er stand an einem der Stehtische und schaute über die Zeitschriftenfront. Was es nicht alles zu lesen gab? Was passierte nur mit all diesem bunten Papier? Gaben die Leute wirklich Geld für Blättchen wie Gamesworld, Men’s Health , Bongo, Am Erker oder für Psychologie der Frau aus? Unvorstellbar, im Grunde. Überhaupt, dieses ganze Psychozeugs – wozu? Gott hatte die Erde geschaffen, die vier Elemente, den Tag, die Nacht, Mann und Frau, den FC Bayern und die CSU . Es waren also schon genug Probleme in der Welt, wozu brauchte es da noch diese Psychozeitungen?
Er lutschte am Nachtdienst-Magnum und lächelte der dürren Schwarzhaarigen zu, die er schon so lange kannte und immer noch mit Frau Berani ansprach. Sie lächelte zurück und sortierte Zigarettenschachteln in die Regale.
Wie konnte man überhaupt an so einer konspirativen Stelle eine Tankstelle betreiben? Wo es keinen Durchgangsverkehr gab, vielleicht einmal jemanden, der sich verfahren hatte und zufällig Sprit brauchte. Konnte das der Grund sein für den familiären Ton, der hier herrschte? Die meisten Kunden wurden mit Namen angesprochen, an der Kasse hielt man einen Ratsch, und er selbst wurde mit einem freundlichen Grüß Gott begrüßt, wenn er am Morgen seinen Espresso schlürfte.
Wenn ein Fremder den Shop betrat, nahm er ihn in die Zwinge seiner dunklen Augen, musterte die Gestalt, die Kleidung, die Schuhe – die viel mehr verrieten als der coolste Anzug; er suchte in den Spiegelungen der Zigarettenregale nach dem Gesicht: Mann, Frau, blond, schwarz, lockig, rasiert, unrasiert, Piercing, Verletzungen, Brille? Dann warf er einen Blick nach draußen. Passten Typ und Auto zueinander? Das ging schnell, wie nebenbei.
Ja. Fremde fielen hier auf, in der Tankstelle. Wenn einer ohne Auto oder Moped kam, dann regte es sein kriminalistisches Interesse an: In welche Richtung verschwand der Typ? Ohne Auto. Die sah er sich genau an: »Grüß Gott, Personenkontrolle, ihren Personalausweis, oder ein anderes Ausweispapier bitte!« Höflich, aber bestimmt. Klare Ansage. Hatte ihm schon manchen Fang eingebracht. Wer ging auch zu Fuß in eine Tankstelle, da hatte man doch nichts zu suchen, Mensch. Das war doch blöde!
Die Blöden werden die Ersten sein. Er lachte kurz auf, als er es weiterdachte. Die Straßen waren übersichtlich geworden und der 3er Touring schnurrte sanft durch Münchens Nacht. Alfons Zenner fuhr sanft, um beide nicht zu wecken: nicht die Stadt und nicht die Kollegin.
Am Vormittag war es hektischer gewesen und immer wenn in der Morgenschicht der Wurm drin war, bedeutete es für die Nacht nichts Gutes. So war es eben. Wie Vollmond. Bei Vollmond krochen die Irren aus ihren Löchern. Vielleicht hatten diese Sterne ja wirklich Einfluss auf das, was geschah. Vielleicht war es auch das Wetter, die Isobaren, was ihm als Ursache vernünftiger erschien, obwohl seine Beobachtungen noch nicht zu einem schlüssigen Ergebnis geführt hatten. Wenn der Teufel los war, dann war er es völlig gleich, ob es draußen regnete, schneite, stürmte, oder die Sonne schien. Jedenfalls gab es Tage, da war ein Unterschied festzustellen am
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