Marienplatz de Compostela (German Edition)
Verhalten der Menschen.
Heute Morgen, da hatten sie ihm diesen Raub auf die Augen gedrückt, wie er es ins Büro des Chefs geschrien hatte, auf die Augen gedrückt , diesen Mist. Der Chef hatte auf seine verbalen Grobheiten keine Reaktion gezeigt und so getan, als tippe er etwas in den Computer – gerade der!
Danach hatte er die Frau in sein Büro geholt und der Chef war wie zufällig dazu gekommen, weil er, Alfons Zenner, so aufgebracht gewesen war und öfters die Worte Scheiß und Pack und Deppenstrudel gebraucht hatte. Das hatte den Chef beunruhigt – die Ausdrucksweise also solche – und nicht etwa die Lautstärke oder der emotionale Ernst. Der Chef sprach nie von schlecht drauf , gut drauf , freundlich oder ärgerlich . Für ihn lag das Elend der Welt an den Emotionen der Menschen. Das war der Satz, den er in der Woche mehrmals loswurde.
Zu viel davon war nix und zu wenig war auch nix. Und genauso ein Chef war er auch – von nix zu viel und von nix zu wenig.
Alfons Zenner ertrug ihn. Er hatte schon viele Chefs gehabt. Auch den würde er einmal gehabt haben.
Aber es ärgerte ihn, dass die von der Kripo sie hängen ließen, und dass es diesen Uniformständer nicht beeindruckt hatte, er nicht interveniert hatte. Er hatte im Büro gestanden und hatte mit der Frau geredet, als handelte es sich um eine Bankangestellte, Verkäuferin, Krankenschwester, oder um eine sonst irgendwie normale Frau. Alfons Zeller hatte freundlich dabeigestanden, hatte nicht mehr geschrien, keine schlimmen Worte mehr gebraucht, artig seine Fragen gestellt und die Frau hatte sie beantwortet und dabei so getan, als wäre sie eine Frau, wie eine Verkäuferin, Bankangestellte oder Krankenschwester.
Als er sich an den Computer gesetzt hatte, um alles Besprochene in eine Vernehmung zu verwandeln, war der Chef zufrieden gegangen. Alfons Zeller war aufgestanden und hatte die Türe zu seinem Büro geschlossen, sich wieder an den Tisch jenseits des Computers gesetzt und die Frau lange stumm angesehen, bis ihr verdorbener Blick dem seinen ausgewichen war, zum Fußboden und zum Gewerkschaftskalender hin.
Er hatte leise gesprochen: »Und du glaubst wirklich, ich mache jetzt unschuldiges weißes Papier mit dem Scheiß schmutzig, den du da gerade von dir gegeben hast!? Das glaubst du doch nicht im Ernst, oder?«
So hatte er begonnen und seine Falten im Gesicht waren für den Augenblick zu echten Narben geworden. Die Frau hatte sich nach hinten umgesehen, wo die Türe geschlossen war und hinter der der Chef verschwunden war – wieder mit anderen Emotionen befasst.
Alfons Zenner war wütend geworden, denn er kannte die Frau und die Familie, aus der sie stammte, die jetzt keine Familie mehr war.
Er plärrte ein halblautes »Hey! Was nun!?« über den Tisch und lehnte sich im Stuhl zurück. Die Frau bekam ein weinerliches Gesicht.
Er sah angewidert zur Decke. »Hör mir bloß auf hier rumzuplärren, ja! Das ist das Letzte, was ich jetzt brauchen kann. Kommst hierher und erzählst so ne Scheiße!« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, was einen lauten Knall erzeugte. Er hatte nicht an den Ehering gedacht.
Sie zuckte zusammen.
»Justament wie Frau Drogentussi aus der Apotheke kommt, wo sie die Wochenration Subsidingsdadrogen abgeholt hat, wird sie doch von bösen Menschen überfallen, die ihr auch noch die Geldbörse wegnehmen, in der zweihundert Euro waren, he! Man glaubt es nicht, wie schlecht die Welt ist, nicht wahr?« Er beugte sich nach vorne. » Das wäre ja nicht schlimm gewesen, gute Frau! Aber dann zur Polizei zu gehen und diesen verlogenen Käse erzählen … mich damit zu belästigen! … Falsche Adresse bei mir, Lady. Du willst doch nur ein Aktenzeichen für deinen personal coach, oder wie die Sozialfuzzis sich jetzt wieder nennen, nur um wieder ne neue Wochenration zu kriegen, he!? Willste die wieder verscherbeln, wie die andere auch, oder was, und dann wieder hier auftauchen und auf Opfer machen!? Also, wer hat das Zeug gekriegt!? Wer waren die Typen, denen du das Zeug gegeben hast?« Er war lauter geworden, sah zum Fenster hinaus und sprach zu sich selbst. »Am hellsten Vormittag mitten auf der Leonrodstraße ein Raub, und keine Zeugen … hältst du uns für blöde!?«
Die Frau hatte sich nicht getraut auch nur eine Träne zu vergießen, geschweige denn zu antworten. Sie legte ein kurzes Geständnis ab. »Was soll ich denn machen, ich muss doch meine Miete irgendwie zahlen …«
Alfons Zenner hatte gelacht.
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