Marienplatz de Compostela (German Edition)
denke, das Warum steht im Moment nicht im Vordergrund.«
Als Bucher der Frage nach dem Warum nachgegangen war, geriet er dabei zu einem Gespräch, dem er erst unfreiwillig, dann neugierig, in der S-Bahn gelauscht hatte. Zwei Männer am Sitz gegenüber unterhielten sich über die Messung der Temperatur von Getriebeölen. Dabei erfuhr er, dass die Temperaturanzeige im Fahrzeugcomputer nicht gemessen, sondern nur geschätzt sei. Einer der beiden erklärte, die Schätzung sei trotzdem so exakt wie eine Messung, weil genügend Rahmenparameter bekannt seien, die auf die exakte Temperatur schließen ließen. Das Schätzen sparte also einen zusätzlichen Sensor, Gewicht, Fehlerquelle, und so weiter.
Er war davon überzeugt, in einer ähnlichen Situation zu sein. Nur ging es ihm nicht um Geld oder Gewicht, sondern um Zeit. Ihn quälte eine böse Ahnung, und er wollte lieber gut schätzen, als zu lange auf ein exaktes Ermittlungsergebnis zu warten. Seine Rahmenparameter bestanden aus bislang bekannten Geodaten und seine Präferenz galt dem Wo .
»Das sehe ich ähnlich, Lara. Die Frage nach dem Warum wird uns im Moment wenig weiterbringen. Allerdings halte die Frage nach dem Wo für noch spannender. Wo …!? Wo hält er sie so lange Zeit fest? Darum geht es mir vordringlich. Wir müssen den Ort finden!«
Batthuber schnaubte laut. Hartmann hatte sich aufgerichtet.
Bucher blieb unbeeindruckt und äußerte sich gewagt. »Ich gehe davon aus, dieser Ort befindet sich in München, kann auch sein, dass es im näheren Umfeld ist. Aber München ist gesetzt, denn wir haben eine klare Zuordnung von Täter zur Tat und zum Opfer: Und das ist – der Ablageort des Beins von Nora Bender. So etwas traut sich niemand in fremder Umgebung. Der Typ, der das getan hat, ist aus München!« Bucher fixierte Batthuber. »Haben wir inzwischen die Listen mit den Leerungsterminen der öffentlichen Müllcontainer erhalten?«
»Ja, schon. Das ist allerdings eine uferlos unübersichtliche Exceltabelle. Ich bin gerade dran, das nach Autobahnen, Bundesstraßen und so weiter zu ordnen. Die Leerung für den Parkplatz an der Panzerwiese habe ich schon rausgefunden. Das wäre gestern gewesen.«
»Gestern? Haltet ihr das für Zufall? Ich nicht.«
Hartmann schaltete sich ein. »Gut, gut, gut … das mit München klingt ja durchaus nachvollziehbar. So wie das aussieht, schnappt er sich seine Opfer zwar nicht, um sie sofort zu töten – aber töten will er sie. Und daher ist die Frage schon von Bedeutung, was er mit ihnen so lange anstellt. Nach einem klassischen Triebdelikt sieht es nun mal gar nicht aus.«
Niemand widersprach ihm.
Batthuber klang frustriert: »Klassisch nicht, aber … drei junge Frauen … das hat schon mit Sex zu tun.«
Lara Saiter griff ein. »Ausgeschlossen ist es nicht, aber diese lange Zeit. Ich kann mir schon viel Makabres vorstellen, aber es passt doch nicht alles so ganz zusammen. Der immense Aufwand … was könnte sonst noch infrage kommen, um eine Frau zwei, drei Monate gefangen zu halten?«
»Organe!«, fiel Batthuber ein, »Es geht um Organe … junge, gesunde Frauen …«
Bucher unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Nein, das glaube ich nicht. Wer so etwas durchzieht, der verfügt über andere Möglichkeiten, sich des Körpers zu entledigen, als die einzelnen Leichenteile auf öffentliche Müllbehälter zu verteilen; ist ja ein gewaltiges Risiko. Nein. Ich will es zwar nicht kategorisch ausschließen, aber …«
Batthuber war in Fahrt gekommen. »Ja gut, dann eben aus einem Grund, den wir noch nicht eingrenzen können. Aber was die geografische Aufbereitung angeht – er verschleppt sie doch nach Frankreich … oder etwa nicht? Ihr redet plötzlich von München, aber was ist mit den Ansichtskarten aus Orléans und Toulouse? Die stammen unstrittig von der Blohm und der … der anderen … die Karte ist aus Frankreich, die Briefmarke passt, der Stempel ist echt – alles perfekt. Die waren in Frankreich.«
Hartmann klang äußerst skeptisch. »Diese Frankreichvariante hat mir von Anfang an nicht gefallen. Überleg mal – von Lindau aus! Da muss er durch drei Schleierfahndungszonen und wenn er auf der deutschen Seite die Route am Schwarzwald vorbei nimmt, ist er eine Ewigkeit unterwegs, noch dazu auf elenden Landstraßen, und die Autobahn über Stuttgart – Karlsruhe ist viel zu heiß wegen der vielen Schwarzgeldkontrollen. Da sind Zoll, Bundespolizei und Landespolizei rund um die Uhr. Und die Tour
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