Marienplatz de Compostela (German Edition)
könnte.«
Lara Saiter hob den Zeigefinger, als wollte sie sich melden. »Na ja. Etwas habe ich schon noch. Ich kann im Moment nicht viel damit anfangen, aber es passt nicht zu Anne Blohm, jedenfalls nicht zu der Anne Blohm, wie wir sie bisher kennen.« Sie zog ein paar Fotografien aus dem Aktendeckel und schob sie Bucher zu.
Es waren düstere Aufnahmen von langen dunklen Schächten. Das wenige Licht auf den Mauern zeigte die Umrisse starker Steinquader, auf denen Mauerwerk, aufsetzte; grober Mörtel war zu erkennen: Katakomben. Auf einem der Fotos bestand der obere Bildrahmen aus dem Schwarz eines Bogengewölbes, hinter dem sich beleuchteter Raum ausbreitete. Nach links und rechts führten breite Gänge. Das Licht war gelblich warm. Eine unterirdische Halle. Bucher betrachtete das Foto lange, denn in der Wärme des Lichts waren die Umrisse von Körpern zu erkennen. Die harten Kontraste zwischen hell und dunkel lösten die Dreidimensionalität auf. Bucher suchte den Gestalten eine Information abzugewinnen. Es waren echte, lebende Menschen in einem sehr großen Raum. Er reichte die Fotos an Hartmann weiter: »Was ist das, Lara?«
Sie hob resigniert die Hände. »Keine Vorstellung. Schaut aus wie in einem unterirdischen Kanalgewölbe, es ist aber keine Feuchtigkeit in den Lichtreflexen zu erkennen … und diese mächtigen Hallen … keine Ahnung?«
»Die sind nackt«, sagte Hartmann und hielt das Foto mit dem Lichtschein weiter von den Augen weg, »die tanzen da echt nackt herum, da ist keine Kleidung an den Umrissen zu erkennen. Also für mich sieht das aus wie eine dieser Hexenmessen, oder so was Ähnliches, eine Orgie vielleicht.«
Lara Saiter erklärte: »Die Fotos lagen in einem Kuvert unter den Aktenordnern, die Anne Blohm bei ihren Eltern deponiert hatte. Unser Fotolabor hat die Dinger schon gescannt und versucht auf ihnen etwas mehr sichtbar werden zu lassen, als auf den Abzügen zu erkennen ist. In einem Mäppchen habe ich außerdem Speicherkarten gefunden. Wenn wir Glück haben, befinden sich die Fotos im Original drauf. Ich finde diese Aufnahmen äußerst eigenartig. Sie strahlen eine Unheimlichkeit aus, etwas Dämonisches und das alles mit einem Schuss Erotik. Fast könnte man meinen, es handele sich um eine Inszenierung.«
Bucher und griff noch einmal nach den Fotos. »Eine dämonische Stimmung, und erotisch, genau so. Fast wie ein Motiv aus Dantes Inferno. Wo kommt dieses warme Licht her? Ich sehe keinen Rauch und in einem Gewölbe Feuer zu machen ist ja kaum vorstellbar. Wer immer die Aufnahme gemacht hat, stand in einem Gewölbegang, dann diese Halle und links und rechts wieder ein Gewölbe. Da ist kein Beton, nur Ziegel und altes Mauerwerk.«
»Ein alter unterirdischer Kanal, eine Gruft, eine Krypta oder ein offen gelassener Bunkergang«, warf Hartmann eine Reihe von Vermutungen in den Raum, »… und Feuer ist da keins. Viel zu gleichmäßig ausgeleuchtet, außerdem wäre dann da Rauch.«
Lara fragte: »Gibt es solche Katakomben überhaupt in München? Nach Kanalisation sieht es wirklich nicht aus … alles trocken?«
»U-Bahn könnte sein. Da ist es trocken.«
»Aber überwacht, verschlossen, gewartet – sehr schwer, da unbemerkt reinzukommen, noch dazu so viele. Halte ich für ausgeschlossen«, sagte Hartmann, »außerdem ist da alles aus Beton. U-Bahn scheidet meiner Meinung nach aus.«
»So sorgsam wie diese Fotos verpackt waren, müssen sie Anne Blohm schon etwas bedeutet haben.«
Hartmann schob die Aufnahmen in die Tischmitte. »Vielleicht lag die Nicht-beste-Freundin mit ihrer Empfindung gar nicht so daneben und Anne Blohm hatte tatsächlich etwas zu verschweigen.«
Bucher sah auf die Fotos. »Sie muss sie nicht selbst fotografiert haben. Kann ihr auch jemand gegeben haben. Passt aber nicht zu ihr … du bleibst da dran, Lara, jaja.«
Sie nickte.
Batthuber übernahm und verteilte eine kompakte Zusammenfassung der Vermisstenakten Schieg, Bender und Blohm, anhand derer sie weiterarbeiteten. Bucher schrieb die Vornamen der Frauen in Rechtecke, darunter die Monate, in denen sie verschwunden waren, und begann dann unter jedem Namen die individuellen Daten und Merkmale aufzulisten. Zusammen mit den Fotos wurde aus der tabellarischen Übersicht eine erste, fragmentarische Darstellung der Persönlichkeiten. Alle drei waren um die dreißig Jahre alt, wohnten in München, waren unverheiratet, hatten keine Kinder, verfügten über eine gute Ausbildung, hatten beruflichen Erfolg,
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