Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
damals, in der Firma, wo das passiert ist, das mit den Fotos meine ich. Er war das nicht, das will ich damit nicht sagen, er hat mich gemocht, glaube ich, also …«
»Sie ihn auch?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Ach was, ich war viel zu schüchtern, um mich auf irgendwas einzulassen, und er war so wahnsinnig erwachsen, ich meine, er hat mir die Stelle gegeben, und dafür war ich natürlich dankbar, aber deswegen fang ich doch nicht gleich was mit ihm an. Das Betriebsfest, da hat er mich gefragt, ob ich ihn begleite, aber ich hab Nein gesagt, ich wollte ja auch eigentlich überhaupt nicht hin, aber meine Mutter hat gesagt, das gehört sich nicht, und dann … Vielleicht, wenn ich mich nur durchgesetzt hätte – aber dann hätte ich Antonia nicht. Sie ist das Beste, was mir je passiert ist, und jetzt ist sie fort?« Ihr Blick wurde starr, verlor sich irgendwo, wohin ihr niemand folgen konnte.
»Reinicke war schon mal verheiratet«, sagte Charlie, »mit einer Almut Herzog. Sie ist vor drei Jahren verstorben und hat ihm ihr Haus auf Langeoog vermacht. Vielleicht ist er dort?«
»Gibt’s da eine Polizeistation?«, erkundigte sich Zinkel.
»Klar, was glaubst du denn, im Sommer steppt da der Bär. Ich habe den Kollegen schon angerufen und ihn gebeten, mal nach dem Rechten zu sehen, nach Möglichkeit unter irgendeinem Vorwand, aber noch hat er nicht zurückgerufen.«
»Dann lass uns mal los«, sagte Zinkel zu Lübben, der auf einmal hinter Charlie stand. Käsig war er, fand Zinkel, da hatten die Fotos anscheinend unerwartete Nebenwirkungen gezeitigt.
»Nee, macht ihr mal«, wehrte Lübben ab, »ich koordiniere von hier aus.«
»Ich komme mit.« Lilian stand auf und machte bereits Anstalten, den Bademantel abzustreifen.
Nur das nicht, Zinkel dachte durchaus zweigleisig. »Nein«, wies er sie ab, »Sie bleiben schön hier und gehen mit meinem Kollegen noch mal alles durch.« Er zog Charlie kurzerhand hinter sich her, und sie verließen das Haus.
»Er wird schon seekrank, wenn er nur aufs Wasser hinausschaut«, feixte Charlie, wurde jedoch augenblicklich wieder ernst. »Wir müssen uns ranhalten, wenn wir die letzte Fähre noch erwischen wollen«, sagte sie, »wer weiß, wann wir die nächste Chance haben, überzusetzen.«
»Wieso? Geht die Fähre im Winter so unregelmäßig?«
»Nö«, Charlie warf ihm einen herausfordernden Blick zu, »Sturmwarnung.«
* * *
Marilene bereute ihre Einwilligung, nach Langeoog zu fahren, noch bevor sie die Fähre bestiegen hatten. Sie standen am Anleger und warteten, bis die wenigen Passagiere von Bord gegangen waren, und ihr wurde schon schlecht, als sie auf das schwankende Boot schaute. Nix da, dachte sie, keine zehn Pferde würden sie da raufbringen. Sie war eine Landratte, die so etwas bestenfalls bei schönem Wetter machen würde. Nicht bei Sturm.
Die Autofahrt hierher war schon reichlich ungemütlich gewesen, und sie hatte beide Hände benötigt, um den Wagen auf der Straße zu halten. Das ist kein Sturm, das ist bloß Wind, hatte Olaf gespottet, während er ungerührt mit seinem iPhone spielte, angeblich um nach Fährzeiten und Hotel zu schauen. Völlig überflüssig. Sie hatte nicht die Absicht, drüben zu übernachten. Sie hatte nicht mal mehr die Absicht, überhaupt rüberzufahren. Blöde Idee. Sie zog ihr Handy aus der Tasche. Sie würde Paul anrufen, wie sie’s von vornherein vorgehabt hatte. Sollte er sich um die Sache kümmern. Das Handy war tot. Komisch, sie hatte vorhin noch kontrolliert, ob der Akku geladen war.
»Du willst kneifen?« Olaf grinste. »Feigling«, intonierte er Kindergesang.
Ein kleiner Junge stürmte auf seine Mutter zu, »Mommy, Mommy«, rief er, »that trip was so awesome! And look what I found, this is Clamston, and this is Shelley« , er hielt ihr zwei Muscheln entgegen, »I saved them from the storm, and now they will be together forever.«
Marilene musste lachen. Na gut, dachte sie, was ein kleiner Junge so großartig fand, würde sie ja wohl überleben. Sie steckte ihr Handy wieder ein und folgte Olaf aufs Boot. Eine ziemlich wacklige Angelegenheit, und sie musste sich auf diesen albernen breitbeinigen Seemannsgang verlegen, um nicht zu stürzen. Der Wind hier oben war stärker und schien stetig zuzunehmen, das Getöse war ohrenbetäubend. Wellen krachten gegen die Bootswand, Gischt sprühte an Deck, und Olaf griff nach ihrem Arm und zog sie hinter sich her in die Kabine.
Null Sicht. Wasser rann die Scheiben hinab, als sei
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