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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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den Hörer, »wir sind sofort bei Ihnen!« Er knallte den Hörer zurück auf die Station und sprang auf. »Mach hin«, rief er Zinkel zu, »Lilian hat versucht, sich umzubringen.«
    Nicht schon wieder, dachte Zinkel, er hatte die Nase gestrichen voll von Selbstmordversuchen, und handelte es sich nicht ausgerechnet um Lilian, ginge sie das sowieso nichts an. Hätte er erkennen müssen, wie es um sie stand? Er schob den Anflug schlechten Gewissens beiseite und rannte Lübben hinterher, bremste geistesgegenwärtig abrupt an der Tür zu Charlies Büro und rief ihr zu, sie solle alles andere liegen lassen und die Recherche bezüglich Frank Herzog übernehmen, Details fände sie an seinem Platz.
    Lübben saß schon im Wagen und wartete vor dem Eingang mit laufendem Motor und eingeschaltetem Blaulicht, die Tür der Beifahrerseite stand offen. Zinkel sprang hinein, und Lübben gab augenblicklich Vollgas. Was sollte die Eile, fragte sich Zinkel, sie war ja offenbar rechtzeitig gefunden worden, doch er hütete sich, etwas zu sagen, klammerte sich nur ostentativ am Haltegriff fest und hoffte, sie würden die Fahrt heil überstehen. Immerhin war die Sicht eine Idee besser, von geschätzten dreißig auf bestimmt vierzig Meter seit heute Morgen, vielleicht lichtete sich der Nebel tatsächlich ganz allmählich, vorhergesagt war’s, aber darauf gab er nicht allzu viel.
    Wenn sich der Nebel über ihren Ermittlungen nur auch endlich lichten würde, dachte er, da schlurfte ein Opi mit Rollator über die Straße. Zinkel latschte reflexhaft auf – keine Bremse!, schloss die Augen, schloss ab mit seiner Laufbahn, verkrampfte sich in Erwartung des Aufpralls. Er wurde nach rechts an die Tür gedrückt, dann nach links gegen Lübben geworfen, kein Schrei, kein Aufprall, er öffnete vorsichtig die Augen, alle hatten überlebt. Er stieß den Atem aus, den kläglichen Rest, den er nicht vor Schreck verschluckt hatte, fürs Sprechen fehlte ihm die Puste. Lübben raste ungerührt weiter.
    Das Blaulicht des Rettungswagens wirkte wie Effekthascherei im Kunstnebel einer Bühne, ein paar auf Fahrrädern lehnende Kinder gaben das Publikum. Nun, da Polizei vor Ort war, würde die Veranstaltung an Attraktivität auch für Erwachsene gewinnen, nahm Zinkel an und klammerte sich abermals fest, als Lübben über den Bordstein auf den Bürgersteig holperte und desertierte. Er selbst nahm sich die Zeit, die Fahrertür zu schließen, bevor er ihm folgte und das Haus betrat.
    Obgleich die Tür sicherlich schon eine Weile offen stand, roch es muffig, als hätte Lilian seit seinem letzten Besuch nicht mehr gelüftet. Sie stand mitten im Wohnzimmer, und beinahe hätte er sie nicht wiedererkannt, so bleich war sie, obendrein hatte sie sich die Haare abgeschnitten und – ups, das war nicht Lilian, es war ein Mann, der eben nach links deutete, wo das größere Drama sich abzuspielen schien. Zinkel verzichtete. Der Fußboden war nass, und Scherben knirschten unter seinen Füßen, während er auf den Mann zuging und sich vorstellte. »Sie sind der Bruder?«, fragte er.
    Der nickte wie benommen. »Leander Tewes«, sagte er.
    »Das waren Sie?« Zinkel deutete auf die zerborstene Terrassentür.
    Tewes duckte sich, als handelte es sich um einen Vorwurf. »Es ist niemand zur Tür gekommen«, rechtfertigte er sich, »also bin ich ums Haus rum und hab ans Fenster geklopft, und dann hab ich das Wasser gesehen und gewusst, dass etwas Schreckliches passiert sein muss – die Pulsadern, mein Gott.«
    »Wie geht es ihr?«, fragte Zinkel.
    »Sie kommt durch, der Blutverlust sah schlimmer aus, als er ist, ich bin wohl gerade zur rechten Zeit gekommen.«
    »Wissen Sie, warum sie das gemacht hat?«
    »Da liegt was, auf dem Sekretär, ich hab’s eben erst entdeckt, ich nehme an, das ist der Grund.« Tewes errötete.
    Merkwürdig, fand Zinkel und ging zum Sekretär. Dann verstand er. Mit einem Stift fächerte er die Fotos auf. Sie erzählten eine Geschichte der jungen Lilian Tewes, die er nicht glauben mochte. Abstoßend. Er schob sie zur Seite, um den darunterliegenden Brief lesen zu können.
    Du hast meine Liebe verschmäht und dich weggeworfen an diese Kretins. Wie konntest du! Deine Schönheit, dein reines Gemüt, alles nur Schein. Ein Wunder, dass deine Tochter sich ihre Reinheit bewahrt hat. Noch. Was aus ihr wird, liegt ganz bei dir. Bürdest du ihr den Makel auf, dass ihre Mutter eine verurteilte Mörderin ist? Soll sie ihre ahnungslosen »Väter« kennenlernen und werden

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