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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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rumerzählt hatte, was am Freitag vorgefallen war? Um sich bei den Tussen einzuschleimen, weil sie nichts mehr mit Kathrin zu tun haben wollte?
    Am Samstag hatten sie kurz telefoniert, das Thema aber nicht angesprochen. Das war nichts fürs Telefon. Das war eigentlich nichts, worüber man überhaupt reden wollte. Aber es musste nun mal sein. Sie konnte nicht einfach so tun, als hätte sie von nichts eine Ahnung, und Kathrin sich selbst überlassen. Denn von allein würde die bestimmt nichts unternehmen, um da rauszukommen.
    Auf einmal verstand sie viel besser, warum Kathrin so eine Streberin war. Für sie selbst war das Lernen auch wichtig, doch ihre Freundin toppte das noch um Längen. Und das nicht erst seit gestern, sondern schon in der Grundschule. Sie hatte nie Friseurin oder Kindergärtnerin oder auch nur Mutter werden wollen wie die anderen Mädchen. Für Kathrin hatten immer nur »richtige« Berufe gezählt, Ärztin, Anwältin oder am liebsten Wissenschaftlerin. So viel zum Thema »bildungsferne Schichten«, dachte sie spöttisch. Kathrin war der lebende Beweis dafür, dass Politiker keinen Schimmer hatten, wovon sie redeten, wenn sie solche Ausdrücke verwendeten. Als wenn alle Armen nichts lieber taten, als sich von Bildung fernzuhalten. Das war verallgemeinernd, und es war verletzend. Vor allem aber war es verflucht unfair.
    Wenn sie nur daran dachte, wie Kathrin von den anderen behandelt wurde, bekam sie die Krise. In der Grundschule hatte sie manches noch als dummen Streich abtun können. Doch auf dem Gymnasium waren die Schikanen durchdachter geworden. Mobbing pur. Und das Schlimmste war, dass es nicht nur die Schüler waren, gegen die man sich wehren musste. Für einige der Lehrer kam Kathrin nämlich aus genau der bildungsfernen Schicht, von der die Politiker quatschten. Die trauten ihr nichts zu und nahmen sie nicht freiwillig dran, sogar wenn sie sich meldete meist nicht. Und bei den Arbeiten kriegte sie automatisch schlechtere Noten. Kann ja nicht sein, dass eine, die aus ’ner Hartz-Familie kommt, so viel weiß. Die guckten gar nicht erst richtig hin.
    Kathrin hätte sich das wahrscheinlich gefallen lassen, sie tat eine Menge dafür, bloß nicht aufzufallen. Aber sie nicht. Sie rannte regelmäßig mit Kathrins Arbeiten zu den Lehrern und wies sie auf die Sachen hin, die sie bei ihr übersehen hatten. Ganz freundlich, klar, sie war zur Expertin im Schleimen geworden, aber sie wollte die Ungerechtigkeit nicht einfach so hinnehmen. Da konnten die anderen über sie herziehen, so viel sie wollten, es war ihr egal. Sie wollte, dass Kathrin ihr Abi schaffte, und zwar mit einem anständigen Notenschnitt. Sie arbeitete echt hart genug dafür und hatte es verdient.
    Bis dahin waren es noch anderthalb Jahre. Eine verdammt lange Zeit, wenn man sie in einem Zuhause wie Kathrins verbringen musste. Oder in ihrem eigenen, was das anbelangte. Das Wochenende hatte einen Vorgeschmack darauf geliefert, was auf sie zukam. Frank war genau so, wie sie es befürchtet hatte. Spielte sich als Herr des Hauses auf. Und manipulierte ihre Mutter total. Voll ätzend. Um ins Frauenhaus zu ziehen, reichte das natürlich nicht, nahm sie an. Mit Kathrin. Sie hatten immer schon zusammenwohnen wollen, das wäre die Gelegenheit.
    Hauptsache, Kathrin musste nicht ins Heim, weil sie noch nicht volljährig war. Das würde sie nämlich nie machen. Es würde schon schwierig genug werden, sie zu überreden, ins Frauenhaus zu gehen. Sie hoffte, sie würde es wenigstens hinkriegen, dass sie mit der Anwältin redete. Das mit der Schweigepflicht durfte sie nicht vergessen zu erwähnen. Denn das hatte sie deutlich gemerkt: Kathrin war es voll peinlich, was ihr zugestoßen war. Oder immer noch zustieß? Sie zog ihr Handy aus der Tasche und schickte ihr die ungefähr hundertste SMS des Tages.
    »Na, wo ist denn dein Klon heute?«
    Jenny. Wo kam die auf einmal her? Auch sie hatte in den ersten beiden Stunden gefehlt. Nicht, dass sie sie vermisst hätte, absolut nicht. Ignorieren, ignorieren, ignorieren, beschwor sie sich. Magersüchtige Kuh!
    »Hat bestimmt zu viel gesoffen. Oder sie ist abgehauen. Mit ihrem Bruder wahrscheinlich.«
    Antonia sprang auf, die Hände zu Fäusten geballt. »Halt einfach die Schnauze«, zischte sie, »sonst …«
    »Sonst was? Schlag ruhig zu, das macht man doch so in euren Kreisen, nicht?«
    Eine Welle von Wut erfasste Antonia, und sie schnappte nach Luft und schüttelte sich, um das Rauschen in ihren Ohren

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