Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
und klappte eine Karteikarte auf. »Vor fünf Jahren, ziemlich genau. Wir mussten eine Wurzelbehandlung bei drei-fünf durchführen, eine langwierige Sache, aber das wissen Sie sicherlich.«
»Nein«, sagte Zinkel, und wenn es nach ihm ging, würde er die Erfahrung nie machen.
»Ungewöhnlich für Ihr Alter«, bemerkte Siebenhaar und wirkte begierig darauf, ihm in den Mund zu schauen.
Zinkel ignorierte die Aufforderung zur Vorsorge; er hatte Zähne wie ein Pferd, erinnerte er sich an eine Äußerung Patrizias, als er ein seit Tagen im Büro vor sich hin trocknendes Brötchen zermalmt hatte, und zückte Notizbuch und Stift, um sein Desinteresse zu bekunden.
»Nun ja«, fuhr Siebenhaar endlich fort, »Körber hätte noch drei Termine gehabt, aber er ist nicht mehr wiedergekommen.«
»Haben Sie versucht, ihn zu erreichen?«
»Eigentlich machen wir das immer, wenn jemand nicht erscheint, aber nach dem ersten Termin ist das durchgerutscht. Nach dem zweiten hab ich dann selbst telefoniert, weil ich ganz schön sauer war. So ein Verhalten hat gar nicht zu ihm gepasst, der war an sich immer ziemlich korrekt in allem, soweit ich weiß jedenfalls, richtig gut habe ich ihn ja nun auch wieder nicht gekannt.«
Dieser halbe Rückzieher, überlegte Zinkel, konnte fast den Eindruck vermitteln, dass Siebenhaar fürchtete, ins Zentrum der Ermittlungen zu rücken. Ihm waren im Verlauf der Jahre durchaus einige abstruse Mordmotive untergekommen, wenn er nur an diese Schriftsteller und ihre geklauten Ideen damals dachte, aber das entgangene Honorar für eine Wurzelbehandlung taugte als Motiv nun wirklich nicht: Soviel er wusste, nagten Zahnärzte noch immer nicht am Hungertuch.
»Sie haben ihn aber nicht erreicht«, konstatierte Zinkel, davon ausgehend, dass es sich bei dem Skelett tatsächlich um die Überreste Körbers handelte.
»Nein, bloß seine Lebensgefährtin. Sie sagte, er wohne nicht mehr unter ihrer Adresse, und seine neue sei ihr nicht bekannt.«
»Hm«, sagte Zinkel, »ein bisschen merkwürdig, nicht?«
»Ja, das fand ich auch. Andererseits trennen sich Paare ja schon mal im Unguten, und das Ganze ging mich ja auch nichts an, ich habe also nicht weiter nachgefragt, zumal ich Körber nur flüchtig kannte.«
Schon wieder, dachte Zinkel und begann Gefallen an dem Gedanken zu finden, einem mörderischen Zahnarzt gegenüberzusitzen. Marathon-Mann-mäßig. Obwohl diese Berufsgruppe in der Kriminalstatistik vermutlich keine große Rolle spielte. Jedenfalls nicht als Täter … »Wissen Sie, wie die Lebensgefährtin hieß?«, fragte er.
»Das hab ich mir nicht gemerkt«, bedauerte Siebenhaar. »Moment, warten Sie!«, rief er dann, als sei Zinkel bereits im Aufbruch begriffen, »ihr Vorname …« Er krümmte sich, legte das Kinn auf eine Hand und dachte offensichtlich angestrengt nach.
Die übergewichtige Version von Rodins Denker, erkannte Zinkel und fragte sich, ob die Pose für diesen Moment bewusst gewählt oder eine einstudierte Marotte war.
»Ich habe immer an eine Blume denken müssen, wenn Körber sie mal erwähnt hat«, sinnierte Siebenhaar. »Jetzt hab ich’s, Lilian heißt sie. Aber den Nachnamen weiß ich wirklich nicht mehr.«
»Und Körber, wissen Sie Näheres über den?«
»Ruhiger Typ«, sagte Siebenhaar, und es klang fast abschätzig, »hat irgendwas bei der Stadt gemacht, aber was, weiß ich nicht.«
Das würde sich rauskriegen lassen, und damit kämen sie auch an die Adresse, nahm Zinkel an, unwahrscheinlich, dass einer, der bei der Stadt arbeitete, nicht korrekt gemeldet war. »Darf ich die mitnehmen?« Er deutete auf die Röntgenaufnahmen.
»Sicher.« Siebenhaar schob sie über den Tisch und stieß dabei einen Fotorahmen um. »Ich habe ja nun keine Verwendung mehr dafür«, sagte er bedauernd.
Zinkel warf einen kurzen Blick auf das Foto, bevor er den Rahmen wieder aufstellte. »Wow«, entfuhr es ihm, »Ihre Frau? Glückwunsch.«
Siebenhaar zögerte kaum merklich. »Meine Schwester«, gestand er.
Schwul?, überlegte Zinkel, hätte er jetzt gar nicht gedacht. Auf jeden Fall ein schräger Typ, fand er, und ganz bestimmt seine letzte Wahl, sollte er je unter Zahnschmerzen leiden. Oder die vorletzte, schränkte er ein, die Ärztin vorhin war noch schrecklicher gewesen. Aber vielleicht war er auch nur voreingenommen.
* * *
»Ich würd’s ihr vorläufig nicht sagen.«
Gerrit kraulte sich gedankenverloren hinterm Ohr, dort, wo sein dichtes, nahezu schwarzes Haar zumeist durch ebendiese Geste in
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