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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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war.
    »Marilene Müller«, stellte sie sich vor, »ich bin Rechtsanwältin. Antonia meinte, Sie würden mich brauchen. Das ist mein Assistent.« Sie deutete auf Gerrit, ohne jedoch seinen Namen zu nennen, denn allmählich gerieten Legende und Wahrheit durcheinander.
    »Aber ich hab doch nichts getan, wofür sollte ich einen Anwalt brauchen?« Sie riss die Augen auf, deren Blau verschwamm und um eine Schattierung dunkler wurde.
    Bodenlos, dachte Marilene. Wer würde je auf den Gedanken kommen, diese Frau könnte etwas Unrechtes tun, gar einen Mord begehen? Ihr Anblick allein verbot jeglichen Verdacht, und das Wort Unschuldsengel erlangte eine neue, tiefere Bedeutung. »Damit Sie sich nicht versehentlich selbst belasten«, entgegnete sie. »Wir sollten darüber reden.«
    »Ach, ich weiß nicht.« Tewes zögerte und blickte Antonia hinterher, die sich an ihr vorbeidrückte und die Treppe zum Obergeschoss hinaufstürmte. »Das würde mich doch noch verdächtiger machen.«
    »Nein«, widersprach Marilene, ein verbreiteter Irrglaube, den auszuräumen Fernsehkrimis nicht gerade förderten, »Sie haben das Recht auf einen Anwalt, und wenn einer der Beamten Ihnen rät, rechtlichen Beistand zu suchen, dann muss es ohnehin gravierendes Belastungsmaterial gegen Sie geben, also warum nicht gleich professionelle Hilfe in Anspruch nehmen?« Ihr letzter Versuch, entschied Marilene, aufdrängen würde sie sich nicht.
    Tewes holte tief Luft. »Also gut«, gab sie nach, »kommen Sie rein.« Sie ließ sie vorangehen und schloss die Tür.
    Keine Sekunde zu früh.
    »Mama!«, gellte es von oben, markerschütternd und hart am Rande der Hysterie.
    Gerrit fing sich als Erster, stürzte die Treppe hoch, dicht gefolgt von Tewes, und Marilene hinterdrein, einen Unfall fürchtend: ein verstauchter Knöchel, ein gebrochener Arm, sicher nichts Lebensbedrohliches.
    Antonia stand mit hängenden Armen und Schultern in der offenen Tür zu ihrem Zimmer, vom Licht der Deckenlampe überflutet wie von einem Scheinwerfer; die tragische Heldin eines Theaterstücks, sich selbst spielend statt des von anderen ersonnenen Dramas. Tränen rannen ihr in Strömen übers Gesicht, und sie öffnete den Mund, wie um abermals zu schreien, doch kein Ton verließ ihre Kehle, als wüsste sie bereits, dass sie rettungslos verloren war.
    Ein Zettel lag zu Antonias Füßen. Gerrit bückte sich danach, richtete sich auf, währenddessen lesend, was daraufstand, und hielt dann Marilene das Stück Papier hin.
    Nein, sie schüttelte den Kopf, sie wollte sich drücken vor schwarz auf weißer Gewissheit dessen, was sie längst erahnte, und griff dennoch zu, ihre Augen flogen über die wenigen Zeilen, Schönschrift, wie gemalt, registrierte sie ungewollt, bevor sie den Sinn erfasste.
    Liebe Antonia, ich kann nicht mehr. Verzeih mir, und gib dir bloß nicht die Schuld, du hast wirklich getan, was du konntest. Danke für alles! Deine Freundin Kathrin.
    Marilene wandte sich entgeistert nach Antonias Mutter um. »Wieso um Himmels willen haben Sie nicht sofort die Polizei gerufen?«, fragte sie.
    Tewes rang die Hände. »Ich … ich …«, stammelte sie.
    Antonia ballte die Fäuste. Ihre Worte schossen durch die Luft, hasserfüllt und gefährlich abgehackt: »Sie – kann – nicht – lesen!«, brüllte sie.
    * * *
    Sie hatte lange überlegt, wie sie vorgehen sollte.
    Tabletten kamen nicht in Frage. Zu schwierig zu beschaffen ohne die richtigen Kontakte, die höchstens ihre Brüder herstellen könnten. Was sie natürlich nicht tun würden. Sie wusste ja nicht mal, welches Mittel am ehesten Erfolg verspräche. Und was, wenn sie das Zeug so scheußlich fand, dass sie es nicht bei sich behalten konnte? Viel zu riskant. Oder, stellte sie sich vor, sie wurde zu früh gefunden, und dann würde man ihr den Magen auspumpen, das war mit Sicherheit eine ganz grässliche, unwürdige Prozedur.
    Sich die Pulsadern aufzuschneiden, und ja, sie wusste, in welcher Richtung man die Klinge ansetzen musste, war ihr ebenfalls zu unsicher erschienen. Brachte man es wirklich fertig, zuzuschauen, wie einem das Blut aus den Adern floss? Egal, wie sehr man sich vorher die Kante gegeben hatte? Total betrunken zu sein, brachte es wahrscheinlich auch nicht, sonst würde man womöglich über seinem Vorhaben einschlafen. Außerdem bestand auch bei dieser Methode die Gefahr, zu früh gefunden zu werden.
    Zum Springen war sie zu feige. Obwohl ihr die Vorstellung durchaus behagte, dass ihre Brüder ihre Leiche fänden.

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