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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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Mitte des Grundstücks. Zu viele Fenster verliehen ihm eine Aura der Allwissenheit, und wo andere einen Wintergarten errichtet hätten, prangte hier eine Veranda, deren Himmel von Säulen getragen war. Der Klinker war von schmutzigstumpfem Weiß, wohingegen das Dach in Dunkelblau glänzte und steil nach vorn oben ragte, wie der gegelte Schopf eines Punks. Stilbrüche ohne Ende.
    Den Eingang flankierten zwei üppige Rosenbüsche, deren gefüllte Blüten das Auge lockten, ein tiefes, samtiges Karmesinrot, das elegant der nebligen Stimmung trotzte.
    »Munstead Wood«, raunte eine Stimme.
    »Bitte?« Zinkel schrak zurück.
    Eine Frau erhob sich von schonergeschützten Knien und zupfte ellenbogenlange Gartenhandschuhe von den Fingern. »Rosen haben Namen, wussten Sie das nicht? Diese ist nach Gertrude Jekylls Garten benannt. Riechen Sie mal.«
    Zinkel kam ihrer Aufforderung nach. Brombeeren und Kindheit, konstatierte er, behielt die seltsame Verknüpfung jedoch für sich. »Wir wollten mit Jenny Degener sprechen«, sagte er und registrierte verwundert, wie ihr Blick sich umwölkte. Entweder hielt sie solch ein Gespräch für keine gute Idee, oder sie hätte sich die Aufmerksamkeit lieber für ihre pflanzlichen Zöglinge gewünscht.
    In diesem Augenblick wurde endlich die Haustür geöffnet.
    »Was wollen Sie von mir?«, fragte das Mädchen entrüstet, die Hände in die knochigen Hüften gestemmt. Sie war das Ebenbild ihrer Mutter, nur zwanzig Jahre jünger, wenn überhaupt, und zwanzig Kilo leichter. Vielleicht auch dreißig.
    »Wir müssen mit dir über Kathrin Engelbrecht reden«, erläuterte Lübben.
    »Ach die …« Ihre Stimme troff vor Verachtung.
    »Deine Eltern können dem Gespräch gern beiwohnen, wenn du das möchtest«, fügte Lübben hinzu, »und wenn du einen Anwalt dabeihaben willst, warten wir solange.«
    »Warum sollte ich einen Anwalt brauchen?«
    »Kathrin ist tot.«
    »Echt. Na ja, kein so ganz großer Verlust. Sie war eh voll der Loser.«
    »Du brauchst nichts zu sagen, was dich selbst belasten könnte«, vervollständigte Zinkel sicherheitshalber die Belehrung.
    Sie schnaubte verächtlich. »Du nicht«, beschied sie ihre Mutter, wandte sich ab und stolzierte zurück ins Haus.
    Lübben schaute hilfesuchend zum Himmel, bevor er hineinging, dicht gefolgt von Zinkel.
    »Was ist jetzt?«, rief Jenny ungehalten. Sie befand sich bereits im oberen Stockwerk und beugte sich zu ihnen hinab.
    Zicke, dachte Zinkel und beneidete weder Eltern noch Lehrer. Gut, vielleicht war er voreingenommen, aber bislang verhielt sie sich genau so, wie er es nach Antonias Schilderung vermutet hatte. Sie erreichten ihr Zimmer, und er musste an sich halten, nicht bewundernd zu pfeifen. Zimmer war absolut nicht das richtige Wort. Apartment? Loft? Zimmerflucht, das könnte es treffen. Jedenfalls erlangte die Bezeichnung vom »eigenen Reich« hier eine völlig neue Bedeutung. Von drei Zimmern war dies das mittlere, und seine Seitenwände waren bogenförmig durchbrochen worden. Die Unterteilung war bemerkenswert: rechts der Schlafbereich, unzählige Kissen auf dem ordentlich gemachten Bett, eine Plüschtierarmada als Garant für unbeschwerten Schlaf, viel mädchenhaftes Rosa und Spieglein an der Wand; links war der Arbeitsbereich, Schreibtisch, ein extra Computertisch, an der Wand eine Weltkarte, karg und irgendwie eher männlich, fand Zinkel; dieser mittlere Teil schließlich kam ihm vor wie die Brücke zwischen den Welten.
    »Wieso Loser?«, fragte Lübben, der die Umgebung kaum eines Blickes würdigte.
    »Sie war eine Streberin.«
    »Und Streber sind Loser.« Lübben stopfte sich die Hände in die Taschen und wippte auf den Ballen, als könne er sich gerade noch im Zaum halten, ihr den Garaus zu machen. Zinkel konnte es ihm nicht verdenken.
    Jenny ließ sich auf einen mintplüschigen Sessel fallen, kreuzte die Beine und streckte die Arme seitlich über die Lehne, Gelassenheit demonstrierend. Ihre Füße steckten in niedlichen Stiefelchen, die das Knochengerippe noch besser zur Geltung brachten. »Sicher, was sonst?«
    »Wie wär’s mit zielstrebig?«, schlug Lübben vor.
    »Wofür sollte das gut sein? Sie wäre doch nie aus dem Loch da rausgekommen. Ärztin wollte sie werden. Was für ein Schwachsinn. Solche Leute werden keine Ärzte.«
    »Was für Leute?«, insistierte Lübben.
    »Na, Asoziale halt.« Ihr Blick war provozierend.
    »Was verstehst du darunter?«
    »Kathrin versteh ich darunter. Die Mutter abgehauen, dem Vater ist

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