Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
hätte sie ja noch etwas grübeln lassen, aber da hast du ihr jetzt ausgeholfen. Was machst du denn beruflich?«, fragte er, an Marilene gewandt. »Ärztinnen haben Assistenten«, er nickte in Richtung des Jungen, »sonst fällt mir gerade nichts ein.« Er runzelte grüblerisch die Stirn, während er den Hauch von Erleichterung angesichts seiner vermeintlichen Unwissenheit registrierte. In seinem Innern tobte Gelächter.
»Sie ist Rechtsanwältin«, sagte Joe, ganz der stolze Vater.
»Deine Fußstapfen. Na, das hätte ich mir auch denken können. Aber es passt zu dir, dein Gerechtigkeitsempfinden war damals schon sehr ausgeprägt. Hast du dich auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert?«
»Nein. Und was machst du?«
»Finanzen«, winkte er lässig ab, »nicht so spannend.« Der Kellner brachte ihm eine Karte und enthob ihn der Notwendigkeit, ins Detail zu gehen. »Ah, prima, ich komme um vor Hunger«, behauptete er. »Habt ihr schon bestellt?«
Joe nickte.
»Dann warten Sie doch grad«, bat er den Kellner, »ich hab’s sofort.« Er schlug die Karte auf, entschied sich für ein Steak und orderte einen trockenen Rotwein dazu. »Was machst du«, wandte er sich an den Jungen, »wenn du nicht zeitweilig assistierst? ›Du‹ ist doch okay, so in der Runde, oder?«, fügte er hinzu.
Gerrit nickte. »Sicher«, sagte er, »ich studiere noch. Irgendwas mit Informatik.«
Ein Insiderwitz, den er schon kannte, dennoch lachte er pflichtgemäß. »Das ist ein weites Feld«, sagte er, »du meine Güte, ich steh ja schon mit meiner Fernbedienung auf Kriegsfuß, mit den technischen Neuerungen heutzutage komme ich gar nicht mit«, log er.
Joe wenigstens nickte zustimmend, Gerrit hob lediglich die Brauen, während Marilene ihre Serviette knetete.
»Möglicherweise liegt das daran«, fügte er hinzu, »dass ich einfach zu lange im Ausland war. Australien ist mir in der Hinsicht wie ein Entwicklungsland vorgekommen.«
»Du hast in Australien gelebt? Cool.« Gerrit bekam glänzende Augen. »Wo denn da?«
»Ich war zwanzig Jahre down under und bin, lass mich überlegen, fünf Mal umgezogen? Doch, das kommt hin. Auf die Art hab ich so ziemlich das ganze Land kennengelernt.«
»Irre, das würde ich auch gern machen. Also, nicht für zwanzig Jahre«, schränkte Gerrit ein, »aber ein Auslandssemester …«
»Bloß nicht Informatik«, scherzte er. »Nein, im Ernst, ich hatte den Eindruck, dass Computer nicht so viel Raum im täglichen Leben einnehmen, wie das hier der Fall ist. Aber vielleicht täusche ich mich auch, und die Entwicklung hat überhaupt erst in den letzten Jahren, seit ich zurück bin, ihren Lauf genommen, und zwar hier wie dort.«
»Das kommt schon hin«, stimmte Gerrit zu. »Man kann sich zwar gar nicht mehr vorstellen, wie man je ohne Computer und Internet zurechtgekommen ist, aber sogar ich kenne das noch von meinen Eltern. Jetzt ist der Fortschritt absolut rasant, und für Laien, glaube ich, wird es immer schwieriger, mitzuhalten.«
»Ich finde, das nimmt überhand«, warf Joe ein. »Sogar die Tagesschau verweist mittlerweile aufs Internet für Informationen und zeigt lieber Filmchen, in denen Politiker erst von A nach B laufen müssen, bevor sie einen mehr oder weniger gewichtigen Satz von sich geben dürfen.«
»Wirklich? Das ist mir nie aufgefallen«, sagte Marilene.
Ah, sie war doch noch bei Stimme. »Mir auch nicht«, sagte er, »aber jetzt, wo du es sagst – es stimmt. Läuft das darauf hinaus, dass die Sendung sich selbst überflüssig macht?«
»Zumindest hängen Sie die alten Leute ab«, bemängelte Joe.
»Schade eigentlich«, bemerkte Gerrit. »Solche Berührungsängste müssten gar nicht sein. Die meisten Programme sind inzwischen weitgehend selbsterklärend. Und die nächste Revolution ist auch schon in Sicht: Bald wird man weder Maus noch Tastatur brauchen, sondern über Gesten und Stimme steuern können.«
»Das würde ich praktischer finden als diese Touchscreens«, warf Marilene ein, »die sind doch eher unappetitlich.«
»Sie findet«, Gerrit nickte Richtung Marilene, »dass ich mein iPad zu selten putze, das ist alles. Ansonsten ist sie stolz drauf, wenn sie es schafft, eine SMS zu versenden.«
»Chauvi«, gab Marilene zurück, »so hinterm Mond lebe ich auch wieder nicht.«
»Vermute ich also richtig«, schaltete er sich wieder ein, »dass du Marilene bei computertechnischen Fragen assistierst?«
»Eher bei Recherchen«, erläuterte Gerrit. »Man findet zwar alles im Netz – aber
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