Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
Aktion nicht verschieben, nun, da alle Vorbereitungen getroffen waren. Er wüsste gern, wann der Typ endlich wieder verschwinden würde. Zur Not müsste er nachhelfen, und unter diesem Aspekt konnte es nicht schaden zu wissen, mit wem genau er es zu tun hatte. So, wie er auch genug über Marilenes Vater wusste.
Tatsächlich kannte er den mittlerweile recht gut. Bereits vor ein paar Monaten hatte er sich in Wiesmoor eine winzige Wohnung gemietet und damit begonnen, zufällige Zusammentreffen zu arrangieren. Beim Einkaufen. Beim Friseur. Im Baumarkt. Dort hatte er ihn das erste Mal angesprochen und um fachmännischen Rat gebeten. Kein Bastler konnte der Versuchung widerstehen, über sein Hobby zu reden. Welchen Holzlack, oder doch lieber Lasur? Lack, am besten Bootslack, bei dem rauen Klima hier. Wetter also, Wetter ging immer, war hier im Norden ein geradezu unerschöpfliches Thema. Fußball nicht, da hatte er eine deutliche Abfuhr kassiert, und erst sein Bekenntnis, zugezogen zu sein, hatte das Eis wieder angetaut und zu durchaus erhellenden Verlautbarungen über Land und Leute geführt.
Ein schwieriger Mensch war er, der Herr Richter im Ruhestand, und er konnte von Glück reden, dass nicht er damals seinen Fall verhandelt hatte – er wäre womöglich nicht mit dieser lachhaften Therapie davongekommen. Joseph oder Joe, wie er sich nennen ließ, was er einigermaßen unpassend fand, war rigoros in seinen Urteilen und gab sich nicht ab mit Menschen, die ihm nicht lagen. Dafür sei ihm seine Zeit zu schade. Also hatte er sich ganz allmählich vorgetastet, stets darauf bedacht, nicht durch das Raster der ihm unbekannten Maßstäbe zu fallen, eine Aufgabe so schwierig, wie etwa als Blinder einen Hindernislauf zu bestreiten.
Es war ihm gelungen, sein Vertrauen zu gewinnen. Bereits zwei Mal war er bei ihm zu Hause eingeladen gewesen, revanchiert hatte er sich jeweils mit einem Restaurantbesuch, seiner beengten Wohnverhältnisse wegen. Angenehme Abende eigentlich, er hatte noch nie Zeit in ausschließlich männlicher Gesellschaft verbracht, abgesehen von seinem Therapeuten natürlich, und beinahe wäre er der Versuchung erlegen, das kameradschaftliche Miteinander einfach zu genießen. Er hatte sich regelrecht in Erinnerung rufen müssen, dass all dies einem ganz bestimmten Zweck diente: Täuschen und Entern. Dieser Abend war die Generalprobe.
Längst schon wusste er, dass Marilene ihren Vater wöchentlich zum Essen traf, abwechselnd in Wiesmoor und in Leer. Heute war Wiesmoor an der Reihe, der Zufall dieses Zusammentreffens also sicherlich glaubwürdig. Er ging zielstrebig an der Fensterfront des Restaurants vorbei und warf einen unauffälligen Blick hinein. Perfekt, befand er, Joe saß mit dem Gesicht zum Eingang, Marilene und der Junge ihm gegenüber. Wäre es andersherum gewesen, hätte er sein Vorhaben vielleicht doch noch aufgeschoben.
Er betrat das Restaurant und fragte nach einem Tisch, laut genug, dass Joe ihn hören würde. Es klappte, noch bevor der Kellner reagieren konnte, vernahm er ein »Olaf?«.
Er drehte sich überrascht um. »Ach, hallo, Joe, na das ist ja ein Zufall.«
»Bist du allein?« Joe wartete sein Nicken kaum ab. »Magst du dich zu uns setzen?«, fragte er, »in Gesellschaft schmeckt’s besser.«
»Ich möchte euch nicht stören.«
»Ach was, du störst nicht.« Joe zog einladend den Stuhl neben sich unter dem Tisch hervor.
Länger ließ er sich nicht bitten. »Wenn du meinst, dann gern«, gab er nach. Marilene erkannte ihn erst, als er direkt am Tisch stand. Ihre Miene war die Mühen der letzten Monate wert: eine hinreißende Mischung aus Überraschung, Ungläubigkeit und Angst, gewürzt mit einem Schuss sehr saurer Zitrone.
Joe schien ihr Unbehagen nicht zu bemerken. »Darf ich vorstellen«, sagte er, »das ist Olaf Grünberger, meine Baumarktbekanntschaft, von der ich dir erzählt habe. Und das sind meine Tochter Marilene und ihr zeitweiliger Assistent Gerrit Baron.«
Zeitweilig klang gut, fand er. »Du bist Joes Tochter?«, rief er und setzte sich kopfschüttelnd, »das ist ja ein Ding! Das grenzt ja geradezu an Schicksal, wenn du mich fragst.«
Joe schaute verständnislos drein.
»Wir kennen uns, von ganz früher. Hat sie aber vergessen.« Er neigte sich vertraulich grinsend zu Joe hinüber. »Das behauptet sie jedenfalls. Ich habe sie neulich zufällig in Leer getroffen, dachte, ich trau meinen Augen nicht, nach all den Jahren, aber auf meinen Namen ist sie nicht gekommen. Ich
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