Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
dachte sie spöttisch, wenngleich nicht friesisch und vor allem keiner, den sie gerufen hatte. Vielleicht maß sie der Sache auch zu große Bedeutung bei. Mach disch logger, riet sie sich in breitestem Hessisch.
»Darf ich?« Gerrit angelte bereits mit seiner Gabel nach dem verschmähten letzten Stückchen ihres Schollenfilets. »Das ist echt gut«, befand er. »Wenn sonst nichts für ein Leben im Norden spräche, der Fisch auf jeden Fall.«
»Nur zu«, forderte sie ihn auf. Allmählich beschlich sie der Verdacht, dass da etwas im Busch war. »Wann fährst du eigentlich wieder zurück?«, erkundigte sie sich.
Gerrit kaute gemächlich, bevor er antwortete. »Am Wochenende bin ich weg.«
Das hörte sich fast an, als hätte er die Absicht, am Montag wiederzukommen, argwöhnte Marilene, doch sie ging nicht näher darauf ein. Womöglich brächte sie ihn dadurch erst auf Ideen.
»Wohin ist zurück?«, fragte Olaf.
»Wiesbaden. Daher kenne ich Marilene, ihre frühere Kanzlei war über meinem Büro.«
»Ach so, du bist also nur zu Besuch.«
»Genauer gesagt, Überraschungsbesuch«, gab Gerrit unbekümmert zu. »Ich hab die Einladung angenommen, bevor sie konkret ausgesprochen wurde.«
»Keine schlechte Entscheidung«, warf ihr Vater ein. »Wenn meine Tochter konkret wird, ist es meist beruflich«, fiel er ihr in den Rücken.
»An wessen Genen das wohl liegen mag«, konterte sie.
»So was ist erblich? Da bin ich aber froh.« Gerrit mimte Erleichterung und legte sich die Hand auf die Brust. »Ich hab schon befürchtet, dass alle Frauen so sind.«
»Drum prüfe, wer sich ewig bindet«, empfahl ihr Vater.
»Na, ich weiß nicht«, wandte Gerrit ein, »ich kenne Leute, die das ein wenig übertreiben. Bei Ihrer Tochter zum Beispiel fallen die Typen gleich reihenweise durch.«
Marilene versetzte ihm unter dem Tisch einen Tritt. Ein Unding, dass eine blöde Binsenweisheit zu einer Diskussion über ihr Liebesleben führte, noch dazu ausgerechnet vor Olaf.
»Da hat sie sicher ihre Gründe, ich vertraue ihrem Urteil«, sprang ihr Vater ihr wenigstens jetzt bei. »Woher kennt ihr euch denn nun?« Er schaute zwischen ihr und Olaf hin und her.
Gut gemeint und doch daneben, dachte Marilene, während Olaf darauf ansprang, als hätte er den ganzen Abend auf genau diese Frage gewartet. Was vermutlich zutraf.
»Von einem Zeltlager der Pfadfinder in Dänemark, Anfang der Achtziger war das ungefähr.«
»Pfadfinder?« Gerrit schaute sie verblüfft an.
»Jugendsünde«, murmelte sie und spürte, wie sie errötete.
»So richtig mit Zelt und Lagerfeuer …«
»Und Klampfe, genau, jeden Tag eine gute Tat, allzeit bereit, was weiß ich. Die Mücken waren eine Plage, das zumindest hab ich nicht vergessen.«
»Das Mädchen mit dem Lagerkoller?«, warf Olaf ein. »Du hast dich um sie gekümmert, weißt du nicht mehr? Aber sie musste dann doch abreisen.«
»Zu lange her.« Marilene schüttelte unwillig den Kopf.
»Was ist mit der Lagerzeitung? Die war klasse, ich hab noch ein Exemplar, du nicht?«
»Nicht, dass ich wüsste«, entgegnete sie.
»Kann ich mir gar nicht vorstellen, dass du die nicht mehr hast. Du warst nämlich schwer beeindruckt von dem Typen, der sie gemacht hat. Das war so ein Revoluzzer, nicht nur äußerlich«, fühlte er sich bemüßigt, ihrem Vater und Gerrit zu erläutern. »Ich musste mich mächtig ins Zeug legen, sie für mich zu gewinnen. Und ich fürchte, das ist mir auch nur gelungen, weil ihm die Mädchen in Scharen hinterhergelaufen sind, nach dem Motto, alle für einen, und er konnte so schlecht Nein sagen.«
Ralf. Sie hatte ihn auf dem Hochstand überrascht, mit Anne, noch so eine eigentlich brave, hellgraue Maus, die geglaubt hatte, aller Welt beweisen zu müssen, dass sie so brav auch wieder nicht war. Komm her, sei lieb, hatte er nur gesagt, zum Totlachen aus heutiger Sicht, aber damals war sie unglaublich verletzt gewesen und so wütend, dass sie um sich geschlagen hatte. Im übertragenen Sinn. Getroffen hatte sie jedenfalls nur sich selbst. Oh ja, an den Teil konnte sie sich noch gut erinnern, aber das würde sie niemals zugeben.
»Revoluzzer, ja?«, mokierte sich Gerrit. »Hätte ich dir gar nicht zugetraut.«
»Das war halt die Zeit«, wiegelte sie ab.
»Ich war leider das genaue Gegenteil«, bekannte Olaf, »unscheinbar, angepasst, und«, er lachte leise in sich hinein, »etwas schwerer war ich auch. Wäre der Typ nicht so unverschämt gewesen, hätte ich nie eine Chance bei ihr
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