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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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keiner was.«
    Klare Anweisung, dachte Zinkel und war gespannt, ob sich alle daran halten würden.
    »Da mach dir mal keine Sorgen«, antwortete Lübben. »Es gibt genügend Indizien. Im Übrigen seid ihr alle heute Nachmittag fünfzehn Uhr auf dem Präsidium. Zu Einzelgesprächen. Es ist mir wurscht, ob ihr Eltern oder Anwälte mitbringt, am besten vielleicht beide. Wer nicht erscheint, wird abgeholt. Bis dahin!«, bellte er.
    * * *
    »Das ist für dich abgegeben worden.« Renate Heeren wedelte mit einem Umschlag in der Luft herum.
    »Oh?« Marilene verlangsamte ihre Schritte und griff danach. Kein Absender, keine Anschrift. »Von wem? Worum geht’s?« Sie hatte gerade einen Mandanten verabschiedet und wollte, bevor der nächste Termin anstand, auf einen Sprung nach oben, um zu kontrollieren, ob Gerrit seinen Hausstand auch komplett ausgeräumt hatte.
    »Das hat er mir nicht verraten. Er wollte eigentlich auf dich warten, aber ich habe ihm gesagt, dass das heute überhaupt keinen Sinn macht. Nächstes Mal ruft er vorher an wegen eines Termins, sagt er. Ein junger Mann, nett, höflich, recht gut aussehend.« Renate blickte sie fragend an.
    Zu vage, Marilene zuckte mit den Achseln. Für Renate, die kurz vor der Rente stand, war alles unter sechzig jung, und was sie für schön hielt, konnte sie nicht einschätzen. »Bin gleich zurück«, versprach sie und verließ die Kanzleiräume über die Tür zum Flur.
    Auf dem Treppenabsatz obsiegte ihre Neugierde, und sie riss den Umschlag auf und spähte hinein. Ein Foto. Sie zog es heraus, doch es war zu dämmrig, um viel zu erkennen, und so nahm sie eilig die letzten Stufen und betrat ihre Wohnung.
    »Gerrit?«, rief sie, »bist du noch da?«
    Offenbar nicht. Sie betrachtete das Foto. Das war sie, wunderte sie sich, und ging ins Wohnzimmer ans Fenster. Sinnlos, dieser Tag geizte mit Licht, als habe er allen Reichtum noch im Oktober verspielt und nun nichts mehr übrig außer Trübsal. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und schaltete die Lampe ein. Das Bild war unscharf. Sie hielt es näher ans Gesicht, fort von sich, streckte schließlich den Arm weit aus, nein, sie konnte nicht fokussieren, und das lag eher nicht an ihren Augen, obwohl sie ihre Brille natürlich nicht zur Hand hatte, die lag unten.
    »Dänemark«, sagte sie laut, erkannte den Bunker am Strand, in dessen Windschatten sie nicht nur Zigaretten geraucht hatten.
    »Fahren wir noch mal weg?«
    Marilene schrak hoch. »Boah, Mann, mach das nie wieder mit mir! Es sei denn, du willst mich zu Grabe tragen, verdammt. Ich bin zu alt für so einen Schock! Und wieso hast du nichts gesagt, als ich gerufen hab?« Sie merkte, dass ihre Stimme wegzukippen drohte, und schnappte nach Luft.
    »’tschuldigung.« Gerrit piepste regelrecht. »Ich hab dich nicht gehört, ich hab grad das Bad geputzt.«
    Ihr Zorn fiel augenblicklich in sich zusammen. »Besser hätte der Grund nicht sein können«, erklärte sie, »nett von dir.«
    Gerrit ging nicht darauf ein, sondern nahm ihr das Foto aus der Hand. »Hey, das bist ja du. Echt coole Braut«, schmeichelte er. »Sag mal, das ist doch Olaf, oder nicht?« Er bückte sich und hielt das Bild unter ihre Schreibtischlampe. »Klar ist er das«, sagte er, »aber von wegen ›etwas schwerer‹, der war ganz schön fett. Was hast’n bloß an dem gefunden?«
    »Hä?« Sie nahm ihm das Foto wieder ab. »So genau hab ich noch gar nicht hingeschaut …« Sie verstummte und ließ sich wieder auf den Stuhl sinken.
    Es war Olaf. Und sie strahlte ihn an. Und er war fett. Konnte man nicht anders sagen. Er hatte seinen Arm um sie gelegt. Gleich würde er sie küssen. Was für eine Geschmacksverirrung ihrerseits. Wie war es dazu gekommen? Sie musste verzweifelt einsam gewesen sein, um sich mit ihm einzulassen. Wer hatte die Aufnahme gemacht?
    »Ich kann mich nicht daran erinnern«, flüsterte sie, oder doch?, beschlichen sie erste Zweifel. Sah sie nicht glücklich aus, verliebt? Sie kroch förmlich in das Foto hinein, in die Zeit: Sie war sehr verletzlich gewesen damals, verletzt, stellte sie richtig, und traurig, ihre Mutter war verschwunden, ihr Vater ganz starr, wie hatte sie nicht traurig sein sollen, sie war geflohen aus einem Zuhause, das keines mehr gewesen war, auf der Suche nach Vergessen. Mit allen Mitteln. Mit Ralf, der sie auch nur verletzt hatte. Sie stellte sich vor, wie es gewesen sein mochte, Olafs massigen Körper unter ihren Fingern zu spüren, weich sicherlich, weich und warm und

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