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Marina.

Marina.

Titel: Marina. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Protziges – Rang sechste Reihe und etwas zu weit links. Ein Fünftel der Bühne lag außerhalb seines Gesichtsfeldes, doch die Musik erreichte ihn in ihrer vollen Pracht, ihr war der Preis von Platz und Loge egal.
    Dort erblickte er sie zum ersten Mal. Sie schien ein Geschöpf aus einem von Salvats Bildern zu sein, aber ihrer Stimme konnte nicht einmal ihre Schönheit gerecht werden. Sie hieß Kirsten Auermann, war neunzehn Jahre alt und laut dem Programmzettel eine der jungen Verheißungen des internationalen Musiktheaters. Am selben Abend wurde sie ihm auf dem von der Intendanz nach der Aufführung organisierten Empfang vorgestellt, bei dem er sich als angeblicher Musikkritiker von
Le Monde
eingeschlichen hatte. Als er ihr die Hand gab, blieb er stumm.
    »Dafür, dass Sie Kritiker sind, sprechen Sie sehr wenig und mit ziemlichem Akzent«, scherzte Kirsten.
    In diesem Moment beschloss Germán, diese Frau zu heiraten, und sei es die letzte Tat seines Lebens. Er wollte sämtliche Verführungskünste beschwören, die er Salvat jahrelang hatte praktizieren sehen. Doch einen Salvat gab es nur einmal, er war unwiederholbar. So begann ein sechs Jahre dauerndes Katz-und-Maus-Spiel, das an einem Sommernachmittag des Jahres 1946 in einer kleinen Kapelle der Normandie endete. Am Tag ihrer Hochzeit schwebte das Gespenst des Krieges noch in der Luft wie der Gestank von verborgenem Aas.
    Nach kurzer Zeit kehrten Kirsten und Germán nach Barcelona zurück und ließen sich in Sarriá nieder. In seiner Abwesenheit war der Wohnsitz zu einem geisterhaften Museum geworden. Kirstens Leuchtkraft und dreiwöchige Reinigungsarbeiten wirkten Wunder.
    Das Haus erlebte eine vorher nie gekannte glanzvolle Zeit. Germán malte pausenlos, besessen von einer ihm selbst unerklärlichen Energie. Seine Werke standen in den obersten Kreisen hoch im Kurs, und einen Blau zu besitzen wurde bald zum
sine qua non
der guten Gesellschaft. Auf einmal verkündete der Vater öffentlich seinen Stolz auf Germáns Erfolg. »Ich habe immer an sein Talent und seinen künftigen Durchbruch geglaubt«, »Er hat es eben im Blut wie alle Blaus« und »Einen stolzeren Vater als mich kann es nicht geben« wurden zu seinen Lieblingssätzen, und nachdem er sie oft genug wiederholt hatte, glaubte er selber daran. Kunsthändler und Kuratoren, die sich jahrelang nicht dazu herabgelassen hatten, Germán auch nur zu grüßen, schmeichelten sich jetzt bei ihm ein. Und inmitten dieses Sturms der Eitelkeiten und Heucheleien vergaß Germán nie, was Salvat ihm beigebracht hatte.
    Auch Kirstens Opernkarriere gedieh prächtig. In der Zeit, in der allmählich die 33er-Schallplatte in Mode kam, war sie eine der ersten Stimmen, die ihr Repertoire auf Vinyl verewigte. Es waren Jahre des Glücks und des Lichts in der Villa in Sarriá, Jahre, in denen alles möglich schien und keine Schatten sich am Horizont abzeichneten.
    Niemand maß Kirstens Übelkeiten und Ohnmachten größere Bedeutung bei, bis es zu spät war. Der Erfolg, die Reisen, die Anspannungen der Premieren – das erklärte vermeintlich alles. An dem Tag, an dem Kirsten von Dr. Cabrils untersucht wurde, veränderten zwei Nachrichten für immer ihre Welt. Die erste: Sie war schwanger. Die zweite: Eine unheilbare Blutkrankheit zehrte sie langsam auf. Ein Jahr blieb ihr noch, allerhöchstens zwei.
    Noch an diesem Tag bestellte Kirsten, nachdem sie die Arztpraxis verlassen hatte, bei der Allgemeinen Schweizer Uhrmacherwerkstatt in der Vía Augusta eine goldene Uhr mit einer Inschrift für Germán.
    Für Germán, aus dem das Licht spricht.
    K.A.
    19-1-1964
     
    Diese Uhr sollte die gemeinsamen Stunden zählen, die ihnen noch verblieben.
     
     
    Sie gab Bühne und Laufbahn auf. Die Galavorstellung zu ihrem Abschied fand im Liceo in Barcelona mit
Lakmé
von ihrem Lieblingskomponisten Delibes statt. Niemand würde je wieder eine Stimme hören wie die ihre. Während der Schwangerschaftsmonate malte Germán eine Porträtserie von seiner Frau, die alle seine vorherigen Werke in den Schatten stellte. Nie wollte er sie verkaufen.
    Am 26. September 1964 kam in der Villa in Sarriá ein Mädchen mit hellem Haar und aschfarbenen Augen wie die ihrer Mutter zur Welt. Sie sollte Marina getauft werden und in ihrem Gesicht immer das Abbild und das Licht ihrer Mutter tragen. Sechs Monate später starb Kirsten Auermann, im selben Zimmer, in dem sie ihre Tochter zur Welt gebracht und mit Germán die glücklichsten Stunden ihres Lebens verbracht

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