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Marina.

Marina.

Titel: Marina. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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und ins Gefängnis geworfen, obwohl das Geld nie gefunden wurde.
    Um den Schritt in die Selbständigkeit zu feiern, kaufte sich Sergei ein Luxusauto, Dandykleidung und Schmuck für Tatjana. Wir zogen in eine Villa, die er im Wienerwald gemietet hatte. Nie wurde ganz klar, woher die Mittel für so viel Luxus stammten. Jeden Nachmittag und Abend sang ich in einem Theater neben der Oper in einem Schauspiel mit dem Titel
Der Engel aus Moskau
. Ich wurde auf den Namen Ewa Irinowa getauft, eine Idee von Tatjana, die ihn aus einem ziemlich erfolgreichen Fortsetzungsroman in der Zeitung hatte. Das war die erste einer ganzen Reihe weiterer solcher Inszenierungen. Auf Tatjanas Anregung wurden mir ein Gesangs-, ein Schauspiel- und ein Tanzlehrer zugeteilt. Wenn ich nicht auf einer Bühne stand, probte ich. Sergei gestand mir keine Freunde zu, ich durfte nicht spazieren gehen, allein sein oder Bücher lesen. Das ist zu deinem Besten, sagte er immer. Als sich mein Körper zu entwickeln begann, beharrte Tatjana darauf, dass ich ein Zimmer für mich allein bekäme. Sergei willigte wohl oder übel ein, wollte aber den Schlüssel behalten. Oft kam er um Mitternacht betrunken nach Hause und versuchte, in mein Zimmer einzudringen. Meistens war er so voll, dass er nicht einmal den Schlüssel ins Schloss brachte. Andere Male jedoch nicht. Der Applaus eines anonymen Publikums war in jenen Jahren meine einzige Befriedigung. Mit der Zeit brauchte ich ihn dringender als die Luft zum Atmen.
    Häufig waren wir auf Reisen. Mein Erfolg in Wien war den Impresarios in Paris, Mailand und Madrid zu Ohren gekommen. Sergei und Tatjana begleiteten mich immer. Natürlich sah ich nie einen Heller von den Einnahmen all dieser Konzerte, und ich weiß auch nicht, wer das Geld an sich nahm. Sergei hatte immer Schulden und Gläubiger. Die Schuld daran, warf er mir bitter vor, trüge ich. Alles gehe für meine Betreuung und meinen Unterhalt drauf. Ich dagegen sei unfähig, ihm und Tatjana dankbar zu sein für all das, was sie für mich getan hätten. Sergei lehrte mich, in mir ein schmutziges Mädchen zu sehen, faul, unwissend und dumm. Ein armes unglückliches Ding, das nie etwas Wertvolles zustande bringen und von niemandem geliebt oder geachtet werden würde. Aber all das war unwichtig, denn, so raunte er mir mit seinem Schnapsatem ins Ohr, Tatjana und er wären immer da, um für mich zu sorgen und mich vor der Welt zu beschützen.
    An meinem sechzehnten Geburtstag stellte ich fest, dass ich mich selbst hasste und kaum mein Spiegelbild ertrug. Ich hörte auf zu essen. Mein Körper stieß mich ab, so dass ich ihn nach Möglichkeit unter schmutzigen, zerlumpten Kleidern verbarg. Eines Tages fand ich im Müll eine alte Rasierklinge von Sergei. Ich nahm die Gewohnheit an, mir damit in meinem Zimmer an Händen und Armen Schnitte beizubringen, um mich zu kasteien. Jeden Abend behandelte Tatjana mich wortlos.
    Zwei Jahre später trug mir in Venedig ein Graf, der mich auf der Bühne gesehen hatte, die Ehe an. Als Sergei das am nämlichen Abend erfuhr, verpasste er mir eine brutale Tracht Prügel. Er schlug mir die Lippen blutig und brach mir zwei Rippen. Tatjana und die Polizei bändigten ihn. Ich verließ Venedig in einem Krankenwagen. Wir kehrten nach Wien zurück, aber Sergei bedrängten seine Geldprobleme. Wir erhielten Drohungen. Eines Nachts legten Unbekannte Feuer an unser Haus, während wir schliefen. Wochen zuvor hatte Sergei von einem Madrider Impresario, für den ich früher mit Erfolg aufgetreten war, ein Angebot bekommen. Daniel Mestres, das war sein Name, hatte eine Mehrheitsbeteiligung am alten Barceloneser Teatro Real erworben und wollte mit mir die Saison eröffnen. So packten wir frühmorgens die Koffer und flohen praktisch mit dem, was wir auf dem Leib trugen, nach Barcelona. Ich wurde kurz darauf neunzehn und flehte den Himmel an, mich niemals zwanzig werden zu lassen. Schon lange wollte ich mir das Leben nehmen. Nichts hielt mich in dieser Welt zurück. Längst war ich tot, aber erst jetzt wurde es mir bewusst. Und da lernte ich Michail Kolwenik kennen.
    Wir waren schon einige Wochen im Teatro Real. In der Truppe wurde gemunkelt, allabendlich komme ein bestimmter Herr in dieselbe Loge, um mich singen zu hören. Damals waren in Barcelona die verschiedensten Gerüchte über Michail Kolwenik in Umlauf. Darüber, wie er zu seinem Vermögen gekommen war, über sein Privatleben und seine Identität voller Geheimnisse und Rätsel … Seine Legende

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