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Marina.

Marina.

Titel: Marina. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Die Räder haben ihr die Arme auf Ellbogenhöhe abgetrennt. Noch auf der Straße ist sie gestorben. Niemand kennt ihren Namen. Kein Hahn krähte nach ihr. Es gibt dutzendweise Menschen wie sie. Jeden Tag …‹
    ›Michail, du verstehst es nicht – du kannst nicht Gottes Arbeit verrichten …‹
    Er streichelte mir die Stirn und nickte mit traurigem Lächeln.
    ›Gute Nacht‹, sagte er.
    Er wandte sich zur Tür und blieb stehen, bevor er hinausging.
    ›Wenn du morgen nicht mehr da bist, kann ich es verstehen.‹
    Zwei Wochen später heirateten wir in der Kathedrale von Barcelona.«

23
    M ichail wollte, dass das ein ganz besonderer Tag für mich würde, und schaffte es, die ganze Stadt zur Märchenkulisse werden zu lassen. Meine Zeit als Kaiserin in dieser Traumwelt endete jäh auf den Stufen der Avenida de la Catedral. Ich hörte nicht einmal mehr das Geschrei der Schaulustigen. Wie ein wildes Tier, das aus dem Gestrüpp springt, löste sich Sergei aus der Menge und goss mir ein Fläschchen Säure ins Gesicht. Sie zerfraß mir die Haut, die Augenlider und die Hände. Sie zerriss meinen Hals und zerstörte meine Stimme. Erst zwei Jahre später konnte ich wieder sprechen, nachdem Michail mich wie eine zerbrochene Puppe wiederhergestellt hatte. Das war erst der Anfang des Horrors.
    Der Bau unseres Palasts wurde gestoppt, und wir richteten uns in diesem unfertigen Haus ein. Wir machten daraus ein Gefängnis auf der Spitze eines Hügels. Es war ein kalter, düsterer Ort. Ein Durcheinander von Türmen und Bögen, Gewölben und Wendeltreppen, die nirgends hinführten. Ich lebte zurückgezogen in einem Zimmer zuoberst im Hauptturm. Niemand hatte hier Zutritt außer Michail und manchmal Dr. Shelley. Das erste Jahr verbrachte ich im Morphiumdämmer, gefangen in einem langen Albtraum. Darin glaubte ich Michail mit mir experimentieren zu sehen, so, wie er es mit diesen in Krankenhäusern und Leichenhallen verlassenen Toten getan hatte. Indem er mich rekonstruierte und der Natur ein Schnippchen schlug. Als ich wieder zum Bewusstsein kam, stellte ich fest, dass meine Träume real gewesen waren. Er hatte mir die Stimme zurückgegeben, hatte mir Hals und Mund wiederhergestellt, so dass ich essen und sprechen konnte. Er hatte meine Nervenendigungen verändert, damit ich den Schmerz der Wunden nicht mehr spürte, die die Säure an meinem Körper zurückgelassen hatte. Ja, ich habe den Tod überlistet, aber dadurch bin ich zu einer von Michails verdammten Kreaturen geworden.
    Michail wiederum hatte in der Stadt seinen Einfluss verloren. Niemand war auf seiner Seite. Seine ehemaligen Verbündeten wurden abtrünnig und zeigten ihm die kalte Schulter. Die Polizei und die Justizbehörden nahmen die Verfolgung auf. Sentís, sein Teilhaber, war ein schäbiger, neidischer Halsabschneider. Er setzte falsche Informationen in Umlauf, die Michail in tausend trübe Geschäfte verwickelten, von denen er nie eine Ahnung gehabt hatte. Teil der Hetzmeute, wollte ihm Sentís die Kontrolle über die Firma entziehen. Das Heer der Heuchler und Schleimer, jetzt eine Horde hungriger Hyänen, wollte ihn von seinem Podest stürzen sehen, um seine Reste zu verschlingen. Nichts von alledem überraschte Michail. Von Anfang an hatte er nur seinem Freund Dr. Shelley und Luis Claret vertraut. ›Die Schäbigkeit der Menschen‹, sagte er immer, ›ist wie ein Docht, der die Flamme sucht.‹ Doch dieser Verrat zerriss schließlich sein fragiles Band zur Außenwelt. Er flüchtete sich in sein Einsamkeitslabyrinth. Sein Benehmen wurde immer exzentrischer. Er entwickelte die Gewohnheit, in den Kellern Hunderte von schwarzen Schmetterlingen zu züchten, eine unter dem Namen Teufel bekannte Spezies, von der er besessen war. Bald bevölkerten diese schwarzen Insekten den Turm, setzten sich auf Spiegel, Bilder und Möbel wie stumme Wachen. Den Bediensteten verbot Michail, sie zu töten, zu verscheuchen oder sich ihnen auch nur zu nähern. Durch Gänge und Räume flatterte ein Schwarm schwarzgeflügelter Insekten. Manchmal setzten sie sich auf Michail und deckten ihn zu, doch er rührte sich nicht. Wenn ich ihn so sah, fürchtete ich, ihn auf immer zu verlieren.
    In diesen Tagen begann meine Freundschaft mit Luis Claret, die bis heute anhält. Er war es, der mich darüber informierte, was sich außerhalb dieser Festungsmauern abspielte. Michail hatte mir falsche Geschichten über das Teatro Real und mein Comeback auf der Bühne aufgetischt. Er sprach davon, den durch

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