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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Advokat, er war auch, wenn die Sache schiefging, der Sündenbock. Für Entscheidungen der Koordinierungszentrale galt, wie Axelrod ihn gerade erinnert hatte, allen internen Kämpfen im Vorfeld zum Trotz der eiserne Grundsatz der Geschlossenheit. Da Projekte von Außenseitern wie Bachmann für alle die gleichen Risiken und Chancen bargen, mußten Beschlüsse über ihre Annahme oder Ablehnung einvernehmlich gefaßt werden. Vielleicht hatten die gegnerischen Lager von Burgdorf und Axelrod deshalb am hinteren Ende des Tisches so defensiv die Reihen geschlossen und die Plätze zwischen sich und dem Aggressor ihren bürokratischen Anhängseln überlassen.
    Um Marthas Beobachterstatus zu unterstreichen, hatte Mohr ihr und Newton einen Extratisch bereitgestellt, doch aus der Zweier- war zu Bachmanns wachsender Konsterniertheit eine Dreierdelegation geworden: bei den beiden saß plötzlich eine breitschultrige Mittvierzigerin mit perfektem Gebiß und langem, aschblondem Haar. Aber damit nicht genug. In den wenigen Minuten, seit Bachmann von dem Knapp-Zweimetermann Newton umarmt worden war, hatte dieser sich einen Bart wachsen lassen, oder Bachmann hatte ihn vorher im Clinch nur nicht bemerkt: ein akkurat gestutztes schwarzes Ziegenbärtchen mitten auf der Kinnspitze, das ideale Ziel für einen schönen rechten Haken – nur daß Newton einen unter Garantie vorher zu Boden schickte.
    Ian Lantern, der kleine Strahlemann, mochte zwar Ausländer sein, war aber dennoch als Mitspieler kooptiert. Er hatte einen Platz am Haupttisch ergattert, allerdings so nah bei den Beobachtern, daß er mit Martha tuscheln konnte. Links von ihm saß Burgdorf, wenn auch in einigem Abstand zu ihm, denn Burgdorf, so frisch, gepflegt und wohlgenährt, hielt nichts von körperlicher Nähe. Zwei Stühle weiter saßen zwei Monomaninnen aus dem Berliner Geldwäscheteam, die sich damit aufrieben, Rätseln wie etwa dem nachzuspüren, wie sich zehntausend von einer muslimischen Stiftung aus Nürnberg in gutem Glauben gesammelte Dollar unversehens in fünfhundert Liter Haarfärbemittel in einer Hinterhofgarage in Barcelona verwandeln konnten.
    Die restlichen Gesichter in der Runde gehörten Staatsbeamten oder noch unerfreulicheren Gestalten: Spitzenleuten aus dem Finanzministerium, einer tranigen Dame aus dem Kanzleramt, einem lachhaft jungen Abteilungsleiter vom BKA und dem ehemaligen Auslandsredakteur einer Berliner Zeitung, dessen Spezialität es war, unliebsame Storys zu killen.
    Sollte Bachmann anfangen? Mohr hatte die Tür geschlossen und abgesperrt. Dr. Keller starrte finster auf sein Handy und steckte es weg. Lantern bedachte Bachmann mit einem zupackenden Lächeln. »Dann mal los, Günther«, sollte das heißen. Bachmann ließ sich nicht zweimal bitten.
    »Operation FELIX«, verkündete er. »Kann ich davon ausgehen, daß alle Anwesenden das Material gesichtet haben? Keiner zu kurz gekommen?«
    Keiner zu kurz gekommen. Alle Gesichter ihm zugewandt.
    »Dann darf ich Professor Aziz um ein Profil unserer Zielperson bitten.«
    Laß erst Aziz auf sie los und heb dir den schwierigen Teil für danach auf hatte Axelrod ihm geraten.
    * * *
    Seit zwanzig Jahren war Aziz nun schon Bachmanns Liebling: Aziz, der in Amman sein bester Mann gewesen war; Aziz, der in einem tunesischen Gefängnis geschmachtet hatte, all seine Agenten am Galgen, seine Familie untergetaucht; Aziz, der auf bloßen, wundgepeitschten Füßen durch das Gefängnistor gehinkt war, um sich im Wagen der Deutschen Botschaft zum Flughafen bringen und nach Bayern umsiedeln zu lassen.
    Auch jetzt ging Bachmann das Herz auf, als durch eine Nebentür, in der für einen Moment, wie geplant, Maximilian sichtbar wurde, die kleine, soldatische Gestalt mit den dunklen Haaren, dem dunklen Anzug und dem Schnauzbart leise hereinkam und ihren Platz auf dem Podium am hinteren Tischende einnahm: Aziz, der verpflanzte Spion, führender Experte der Koordinierungszentrale für die verschlungenen Pfade des Dschihadismus – und für das Handeln und Denken seines früheren Kommilitonen aus Kairoer Studententagen, Dr. Abdullah.
    Nur daß Aziz ihn nicht Abdullah nennt. Er nennt ihn bei seinem Codenamen, MEILENSTEIN: Axelrods hintersinnige Anspielung auf das spirituelle Handbuch aller militanten Islamisten, Meilensteine, verfaßt von ihrem Vordenker Sayyid Qutb während seiner Haft in einem ägyptischen Gefängnis. Aziz’ Stimme ist ernst und bekümmert.
    »MEILENSTEIN ist ein Mann Gottes, in jeder Hinsicht bis auf

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