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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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überprüfte besorgt ihr Spiegelbild.
    »Wie gesagt, es gibt ein paar Komplikationen«, fuhr sie fort, auch dies ihm mitten ins Gesicht, und es tat ihr weh, darin Sorgenfalten erscheinen zu sehen, denn bis eben noch hatte es so gestrahlt über diese ziemlich erfreulichen Neuigkeiten, die es bei ihm in der Familie gab, aber was sollte sie machen?
    Die Komplikation bestehe darin, erklärte sie, daß ihr Mandant sein gesamtes Vermögen für gute muslimische Zwecke zu spenden beabsichtigte und sich von dem großen und guten Dr. Abdullah Rat erhoffte, wie dies am besten zu bewerkstelligen sei, daß aber seine extrem prekäre Lage (über die wir beide im Bilde sind, also muß ich darauf nicht näher eingehen) es ihm verbot, sich direkt an Abdullah zu wenden, weshalb er, nachdem er erfolgreich Anspruch auf sein Erbe angemeldet hatte (was ja, wie Sie sagen, kein Problem ist), Mr. Tommy darum bitten würde (er nennt Sie immer Mr. Tommy, wissen Sie), den Kontakt für ihn herzustellen:
    »Wenn das ein gangbarer Weg ist, soweit es Brue Frères betrifft?« schloß sie mit unausgesetztem Augenkontakt und schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln, das er jedoch zu ihrer Betrübnis nur sehr verhalten erwiderte.
    »Und Ihrem Mandanten geht es – einigermaßen?« erkundigte er sich zweifelnd, die Augenbrauen fast über die Schädelkuppe gezogen vor lauter Besorgnis.
    »Soweit die Umstände es zulassen, geht es ihm gut, danke, Mr. Brue. Sehr gut sogar. Oder sagen wir so: Es könnte viel, viel schlechter stehen.«
    »Und er kann immer noch … er ist nicht …?«
    »Nein« – sie schnitt ihm das Wort ab –, »nein, Mr. Brue, ist er nicht. Mein Mandant ist in exakt dem Zustand, in dem Sie ihn kennengelernt haben.«
    »Und in sicheren Händen?«
    »So sicher, wie es unter den gegebenen Umständen möglich ist, ja. Einer Menge Händen, wenn Sie es genau wissen wollen.«
    »Und was ist mit dir, Annabel?« fragte er mit unheilverkündender Dringlichkeit in der Stimme, und er lehnte sich über den Tisch und faßte ihren Unterarm und sah ihr mit so liebevollem Ausdruck ins Gesicht, daß ihr erster Impuls war, sich fallenzulassen und in Tränen auszubrechen, und ihr zweiter, die Notbremse zu ziehen und schnellstens die Juristin herauszukehren. Verspätet drang ihr ins Bewußtsein, daß er sie nicht nur unbefugterweise mit Vornamen angesprochen hatte, er hatte sie auch geduzt. Und das war nun wirklich unverzeihlich. Ihr ganzer Körper war starr, und auch daran trug er die Schuld. Und an der Tatsache, daß sie ihre Worte durch die Zähne hervorpressen mußte. Ihr Brustkorb schmerzte, aber wer gab einen Scheißdreck darauf, was ihr weh tat und was nicht? Bestimmt nicht irgend so ein alternder Bankier, der sich erdreistete, ihren Arm zu betatschen.
    »Ich habe keinen Nervenzusammenbruch«, verkündete sie. »Verstanden?«
    Er verstand. Er ruderte schon zurück, beschämt, aber ihr Handgelenk hielt er dabei trotzdem fest.
    »Nervenzusammenbrüche gibt es bei mir nicht. Ich bin Juristin.«
    Und zwar eine ganz ausgezeichnete, bekräftigte er, so lächerlich übereifrig.
    »Mein Vater ist Jurist. Meine Mutter ist Juristin. Mein Schwager ist Jurist. Sogar mein Exfreund ist Jurist. Karsten. Ich habe ihn rausgeschmissen, weil er für eine Versicherungsgesellschaft arbeitet, die Klagen wegen Asbestvergiftung verschleppt, in der Hoffnung, daß die Kläger vorzeitig wegsterben. Bei uns in der Familie, in meinem Berufsstand, läßt man sich nicht von Gefühlen leiten. Und wird nicht ausfallend. Ich bin Ihnen gegenüber neulich ausfallend geworden. Das tut mir leid. Ich entschuldige mich dafür. Ich habe von Ihrer Scheißbank gesprochen. Es ist keine Scheißbank. Es ist einfach eine Bank. Eine ganz normale, anständige, ehrenwerte Bank, soweit eine Bank anständig und ehrenwert sein kann.«
    Nicht genug damit, daß er ihr Handgelenk umklammert hielt – jetzt versuchte er ihr auch noch den Arm um die Schultern zu legen. Sie schüttelte ihn ab. Sie konnte auf eigenen Füßen stehen und demonstrierte es ihm auch gleich.
    »Ich bin eine Juristin ohne Verhandlungsposition, Mr. Brue, was so ungefähr das Überflüssigste, Bescheuertste auf der ganzen Welt ist. Und verschonen Sie mich mit Ihren Beschwichtigungen. Oder mit irgendwelchen ausgefuchsten Ersatzplänen. Wir ziehen das hier durch, oder Issa ist geliefert. Und Issa muß gerettet werden, verstehen Sie? Wir tun hier das einzig Mögliche, das einzig Sinnvolle, für Issa. Habe ich mich verständlich

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