Marionetten
Fünf-Prozent-Makel in einen blutrünstigen Zahlmeister des Terrorismus.
Auf der Leinwand über Frau Zimmermanns breitem Schädel erscheinen Diagramme wie Familienstammbäume, an denen sich ablesen läßt, welche der seriösen muslimischen Hilfsorganisationen unter MEILENSTEINS Kontrolle mutmaßlich dazu benutzt werden, Geld und Material für Terroristen abzuschöpfen. Nicht alle seiner Fünf-Prozent-Transaktionen sind finanzieller Art. Die Elenden aus Dschibuti schreien nach hundert Tonnen Zucker? Eine von MEILEN-STEINS Organisationen sorgt für ihre sofortige Lieferung. Auf dem Weg nach Dschibuti allerdings legt das Hilfsschiff einen Zwischenstop in dem kleinen Hafen von Berbera an der Nordküste des kriegsgebeutelten Somalia ein, erklärt Frau Zimmermann und fuchtelt gereizt mit ihrem Pointer auf der Leinwand herum, als wollte sie ein lästiges Insekt verscheuchen.
Und in Berbera werden versehentlich zehn Tonnen Zucker entladen. So etwas kann vorkommen, ob wir in Berbera sind oder in Hamburg. Der unbedeutende Fehler wird erst entdeckt, als das Schiff längst wieder auf hoher See ist. Und als es in seinem Bestimmungshafen Dschibuti einläuft, sind die ausgehungerten Empfänger so dankbar für ihre neunzig Tonnen, daß keiner ein Wort über die verschwundenen zehn verliert. In Berbera werden mit den zehn Tonnen Zucker unterdessen Zünder, Landminen, Handfeuerwaffen und tragbare Raketenwerfer für militante Somalis gekauft, deren höchstes Ziel es ist, möglichst kostengünstig Tod und Verderben zu verbreiten.
Doch wer will dafür die ehrbare Hilfsorganisation verantwortlich machen, die in ihrer unbestrittenen Güte den Hungernden von Dschibuti Zucker gebracht hat? Und wer will es wagen, MEILENSTEIN dafür verantwortlich zu machen, den zu fünfundneunzig Prozent frommen Streiter für Toleranz und Verständigung zwischen den Religionen?
Frau Zimmermann will es, und sie tut es.
Außerdem verweist sie ihr Publikum auf die vorliegenden FELIX-Dossiers, in denen die Argumente, auf denen ihr Urteil basiert, im Detail aufgeführt sind. Für die Begriffsstutzigen unter ihnen hat sie ein weiteres Diagramm mitgebracht, noch simpler als das erste. Es zeigt einen Archipel aus kleinen und großen Handelsbanken, die über den ganzen Globus verteilt sind. Während es sich bei einigen um bekannte Namen handelt, muß man bei anderen die Hauptgeschäftsstelle wohl eher in der Barackensiedlung eines pakistanischen Gebirgskaffs suchen. Sie sind in keiner Weise miteinander verbunden. Ihre einzige Gemeinsamkeit ist der Lichtpunkt, der aufblinkt, wenn ihnen Frau Zimmermann mit dem Pointer droht, so wie ein erbostes Muttchen mit seinem Schirm hinter einem davonfahrenden Bus herfuchtelt.
Eines schönen Tages wird eine überschaubare Summe bei dieser Bank eingezahlt, erläutert sie. Sagen wir in Amsterdam. Sagen wir zehntausend Dollar. Ein guter Onkel kommt des Wegs und zahlt sie ein.
Und das Geld bleibt in dieser Bank. Egal, ob es einer Einzelperson, einer Firma, einer Institution oder Hilfsorganisation gutgeschrieben wird. Es rührt sich nicht vom Fleck. Es bleibt dem glücklichen Kontoinhaber erhalten. Vielleicht sechs Monate lang. Vielleicht auch ein Jahr.
Doch siehe da, eine Woche später wird ein Betrag in gleicher Höhe am anderen Ende der Welt bei dieser Bank eingezahlt – sagen wir in Karatschi. Und auch dieses Geld bleibt, wo es ist. Kein Telefonat, keine elektronische Überweisung. Nur ein zweiter guter Onkel.
»Bis dann schließlich einen Monat später eine fast identische Summe hier ankommt«, sagt Frau Zimmermann mit Schärfe. Die Spitze des Pointers liegt auf Nordzypern. »Eingezahlt an dem Ort, für den es von Anfang an bestimmt war, wie bei einem stummen Tauschhandel, den wir ohne aufwendige nachrichtendienstliche Tätigkeit unmöglich zurückverfolgen können. Jede Stunde finden unzählige solcher Transaktionen statt. Nur ein Bruchteil davon unterstützt Terrorakte. Vereinzelt zeigt uns die parallele Auswertung von Quellen und Computerdaten den Weg: aber nur einen Weg. Das ist das Dilemma. Selbst wenn wir die Kette einmal bis zum Anfang zurückverfolgen, muß es noch lange nicht ein zweites Mal gelingen. Beim nächsten Mal könnte sie völlig anders verlaufen. Das ist das Grandiose an dem System. Es sei denn, der Drahtzieher wird selbstgefällig oder faul und fängt an, sich zu wiederholen. Dann bildet sich ein Muster heraus, aus dem man nach einiger Zeit Schlüsse ziehen kann. Optimal ist es, den Drahtzieher und
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