Marionetten
sein erstes Kettenglied zu identifizieren. MEILENSTEIN ist ein Drahtzieher, der faul geworden ist.«
Ein Lichtpunkt brennt über der Stadt Nikosia. Der Pointer tippt einmal vorwurfsvoll darauf und rührt sich nicht mehr vom Fleck.
»Mit unsichtbaren Transaktionen ist es dasselbe wie mit dem Dechiffrieren«, fährt die große Frau Zimmermann mit ihrer süddeutsch angehauchten Lehrerinnenstimme fort. »Wiederholungen sind der Traum eines jeden Ermittlers. Nach dreijähriger Beobachtung dieser äußerst unbedeutenden Reederei, die erwiesenermaßen seit langem Lebensmittel und andere Güter irrtümlich an dubiose Zielorte liefert, ohne sich besonders um einen Rücktransport der Fracht zu bemühen« – der harmlose Name der SEVEN FRIENDS NAVIGATION COMPANY erscheint in fetten roten Lettern quer auf dem oberen Teil der Insel, während sich der Pointer keinen Millimeter von der Stelle bewegt –, »und aufgrund von MEILENSTEINS ersten Kettenüberweisungen auf dieses Spendenkonto bei dieser Bank« – Riad leuchtet auf, zusammen mit dem Namen der Bank auf arabisch und englisch – »und einer entsprechenden Summe, die bei dieser Bank eingezahlt wird« – der Pointer wandert nach Paris – »und der gleichen Summe, die an diese Bank geht« – wir sind in Istanbul »und zwar jeweils auf Konten, die wir im Vorfeld haben ermitteln können, führt uns das zu der triftigen Annahme, daß MEILENSTEIN in die Beschaffung von Terrorgeldern verwickelt ist. Wenn MEILENSTEIN sauber wäre, davon sind wir überzeugt, dann hätte er niemals direkte Verbindung zu dieser zweitklassigen Reederei aufgenommen. Aber er persönlich hat die Firma mehr als einmal beauftragt, obwohl ihm klar sein muß – oder vielleicht weil ihm klar ist –, daß sie bei mehr als einer Gelegenheit Waren an den falschen Ort geliefert hat. Überführen kann ihn das nicht. Aber als Basis für eine begründete Annahme taugt es allemal.«
Während die Leinwand ins Dachgebälk entschwindet, werden Frau Zimmermanns penible Darlegungen von Marthas gebieterischem Nebelhornorgan unterbrochen, das quer durch den Raum dröhnt.
»Wenn Sie begründete Annahme sagen, Charlotte« – woher zum Teufel kennt sie ihren Vornamen? fragt sich Bachmann. Und wie zum Teufel ist sie wieder reingekommen, ohne daß ich etwas davon mitgekriegt habe? –, »heißt das dann soviel wie Beweismaterial ? Er macht genau den Zug, den er machen soll – die erste Kettenüberweisung –, und damit haben wir den Beweis ? Einen Beweis, der vor einem amerikanischen Gericht Bestand hätte?«
Aufgeregt protestiert Frau Zimmermann, daß die Frage ihre Besoldungsklasse übersteigt, und Axelrod springt gewandt in die Bresche.
»Von welchen amerikanischen Gerichten reden wir hier, Martha? Von den Militärtribunalen hinter verschlossenen Türen oder von den altmodischen Verhandlungen, bei denen der Angeklagte noch weiß, welcher Tat man ihn beschuldigt?«
Ein paar freiere Naturen lachen. Der Rest gibt vor, nichts gehört zu haben.
»Herr Bachmann«, blafft Burgdorf. »Sie wollen ein operatives Projekt beantragen. Dann lassen Sie bitte hören.«
* * *
Ein Wettermacher läßt sich nicht gern von Uneingeweihten über die Schulter schauen, während er seinen Zauber wirkt. Wie jedem echten Künstler widerstrebte es Bachmann, Einblicke in seinen Schaffensprozeß zu gewähren. Trotzdem bemühte er sich redlich, seinem Publikum zu geben, was es erwartete. In schlichter Laiensprache für diejenigen, die nur am Rande des Spionagegewerbes standen, trug er die Kernargumente vor, die seinem in aller Eile und unter redaktioneller Mitarbeit von Erna Frey und Axelrod verfaßten Antrag zugründe lagen. Das Ziel der Operation, so erklärte er, bestehe darin, den Beweis für MEILENSTEINS Schuld zu führen, gleichzeitig aber auch seinen guten Ruf und sein Renommee nicht zu beschädigen, sondern sie auf lange Sicht sogar noch zu fördern und seine gesamten karitativen Verbindungen aufrechtzuerhalten. Es bestehe darin, seine fünf Prozent zu übernehmen und ihn als Sprach- und Hörrohr zu benutzen. Wider bessere Überzeugung zwang Bachmann sich, den Begriff »Krieg gegen den Terror« zu verwenden. Deshalb sei der erste Schritt der alles entscheidende: er müsse MEILEN-STEIN heillos kompromittieren, ihm vor Augen führen, daß er kompromittiert war, und ihn vor die Wahl stellen, entweder ein angesehener Vordenker der Umma zu bleiben oder aber …
»Oder aber was, Günther? Verraten Sie es uns«, fiel ihm Martha, die
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